Lehrkräfte in Thüringen: Gegen die AfD gewappnet

Was passiert an Schulen, falls die AfD nach den Wahlen die Bildungspolitik mitbestimmt? Lehrkräfte in Thüringen proben den Ernstfall.

Protest gegen die AfD in Nordhausen. Auch den Schulunterricht könnte die Partei umwälzen Foto: Matthias Bein/picture alliance

NORDHAUSEN taz | Mit zehn anderen Päd­ago­g:in­nen sitzt Lena Scherer an einem wolkenverhangenen Samstagmorgen in der Stadtbibliothek Nordhausen. Es ist Juni, kurz vor den Sommerferien, Scherer und ihre Kol­le­g:in­nen könnten auch ausschlafen oder ihre Ferien planen. Doch sie sind hier, weil sie eine Frage umtreibt: Was würde an ihren Schulen passieren, sollte die AfD bald in Thüringen regieren?

Am 1. September ist Landtagswahl in dem Bundesland. In Umfragen liegt die Partei, deren Landesverband der Verfassungsschutz als „erwiesen rechtsextremistische Bestrebung“ einstuft, bei rund 30 Prozent – 9 Prozentpunkte vor der CDU. Auf kommunaler Ebene ist die Lage in Nordhausen noch deutlicher. Bei den Stadtratswahlen im Mai 2024 stimmten 35,4 Prozent für die AfD. Im September vergangenen Jahres hatte Nordhausen bereits Aufsehen erregt, als ein AfD-Oberbürgermeister nur durch vereinte Mobilisierung der Zivilgesellschaft im zweiten Wahlgang verhindert werden konnte. Sogar die New York Times hatte berichtet.

Das Thüringen-Projekt

Mit der Frage, was geschieht, wenn eine Partei wie die AfD Landesministerien übernimmt, beschäftigen sich seit 2023 Ju­ris­t:in­nen des Verfassungsblogs in ihrem „Thüringen-Projekt“. Die Gruppe um Verfassungsrechtler Maximilian Steinbeis hat Szenarien entworfen, um herauszuarbeiten, wie eine autoritär-populistische Partei wie die AfD auf das Recht und Institutionen einwirken könnte, um beides auszuhöhlen oder abzuschaffen. Mit Veranstaltungen, einer Publikation und Workshop-Reihen sollen diese Ergebnisse eine breitere Öffentlichkeit erreichen, um Menschen für den Schutz der Verfassung zu sensibilisieren.

Lena Scherer, Lehrerin

„Ich glaube, dass wir etwas verändern können.Trotzdem: Manchmal frage ich mich, wofür ich das alles tue, gegen die immer selben Sprüche anzureden“

Angesichts dieser Gefahren sind die elf Päd­ago­g:in­nen aus ganz Thüringen nach Nordhausen gekommen, um an einem solchen Workshop teilzunehmen. „Resiliente Schulen zur Landtagswahl“ heißt er. Organisiert hat ihn der Verfassungsblog zusammen mit der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Vor den Leh­re­r:in­nen steht die Juristin Marie Müller-Elmau. Sie ist Mitarbeiterin des „Thüringen-Projekts“ und beschäftigt sich dort insbesondere mit der Frage, wie sich Lehrkräfte, Schulen und Bildungsverwaltung vor der Vereinnahmung durch autoritär-populistische Parteien schützen können.

Die Stimmung unter den Teilnehmenden reicht von ängstlich bis hoffnungsvoll. Lena Scherer, – die eigentlich anders heißt, ihre Schule aber nicht einer öffentlichen Diskussion aussetzen will – arbeitet seit drei Jahren an einer Regelschule im Landkreis. Sie ist motiviert und gleichzeitig erschöpft. „Ich glaube daran, dass wir etwas verändern können. Und trotzdem: Manchmal frage ich mich, wofür ich das alles tue, gegen die immer selben Sprüche anzureden.“ Eine andere Teilnehmerin ist sichtlich angespannter. Sie meint: „Manchmal sind da antidemokratische Tendenzen bei Schülerinnen, damit ist es schwierig umzugehen. Man verliert den Rückhalt und die Legitimität im Klassenzimmer.“

Was droht

Was, wenn diese Tendenzen zunehmen? Und schlimmer noch, wenn diese durch die Politik und Verwaltung gestützt und sogar vorangetrieben werden? Die Hoffnung sei, sagt Müller-Elmau, dass speziell Zivilpersonen in institutionellen Rollen – Lehrer:innen, Rich­te­r:in­nen oder Menschen in der Verwaltung – ein Bewusstsein dafür entwickelten, wenn etwas schiefläuft.

Dieses Schieflaufen muss nicht unbedingt rechtswidrig sein. „Autoritär-populistische Parteien arbeiten und argumentieren mit der Verfassung, nicht gegen sie“, erklärt Müller-Elmau. Als Beispiele nennt sie Ungarn und Polen. In der direkten europäischen Nachbarschaft konnte in den vergangenen Jahren beobachtet werden, wie der Rechtsstaat systematisch mit legalen Mitteln untergraben wurde.

Und auch die AfD könnte einiges tun, um den Unterricht an Thüringens Schulen nach ihren Vorstellungen zu verändern: die Lehrpläne umbauen, speziell den Geschichts- und Sozialkundeunterricht. Unter dem Vorwand der „ideologiefreien Schule“ könnte sie gesellschaftskritische Diskurse verstummen lassen und mehr „Heimatliebe“ propagieren.

Kritisches Lehrpersonal könnte sie durch aufwendige interne Verfahren abschrecken. Schon heute gibt es Online-Meldeportale der AfD, in denen Schü­le­r:in­nen anonym ihre Leh­re­r:in­nen melden können, wenn sich diese AfD-kritisch äußern. Auch Schulklassen könnten weiter segregiert werden, aufgrund ihrer zugeschriebenen Gruppenzugehörigkeit, ihrer Deutschkenntnisse oder einer Behinderung. So spricht die AfD Thüringen in ihrem Wahlprogramm etwa von „Inklusion mit Augenmaß“ und von „Vorschaltklassen mit Leistungsprüfungen“ für „ausländische Kinder“ mit geringeren Deutschkenntnissen.

Resilienz im Schulalltag

Bei Kaffee und Spritzgebäck sitzen die Leh­re­r:in­nen mittlerweile in Arbeitsgruppen. In dem Workshop geht es nicht nur um theoretische Aufklärung, sondern auch um die Bearbeitung konkreter Szenarien, die auf die Lehrkräfte zukommen könnten. Ein Beispiel: Eine autoritär-populistische Partei übernimmt das Thüringer Bildungsministerium und baut den Geschichtsunterricht massiv um. Ein Schwerpunkt liegt jetzt auf der Thematisierung „positiver Anknüpfungspunkte“ der deutschen Geschichte.

„Eine Gruppe Schü­le­r:in­nen will nicht zu einer Fahrt in eine KZ-Gedenkstätte mitfahren. Was tun Sie?“, steht auf dem Zettel einer Arbeitsgruppe. Ein Dialog entspinnt sich. Wenig geht es dabei um desinteressierte oder antidemokratisch eingestellte Schüler:innen. Vielmehr kommt die Verantwortung der Lehrkräfte zur Sprache, die Kinder zu mündigen, kritischen Bür­ge­r:in­nen zu erziehen. Auch um die finanziellen Mittel ihrer Schulen geht es. „Die Hemmschwellen sind immer Geld, Zeit, Teilhabe. Die müssen wir abbauen, dann könnten wir auch viele Kinder viel besser erreichen“, meint eine Teilnehmerin.

Die Gespräche offenbaren die Multidimensionalität des Themas. Wenn es um demokratische Resilienz geht, geht es auch um Ausstattung von Schulen, um Lehrkräftemangel und die Herausforderung sozialer Medien. Leh­re­r:in­nen sind Knotenpunkt und Projektionsfläche. In ihnen laufen die Erwartungen von Schüler:innen, Eltern, anderer Kolleg:innen, der Schulleitung und des Bildungsministeriums zusammen. Demokratische Werte müssen Leh­re­r:in­nen im Notfall nicht nur gegen antidemokratische Ministerien ver­teidigen, sondern auch gegenüber jenen, die diese Partei gewählt haben – womöglich gegenüber ihren eigenen Schüler:innen, deren Eltern oder Kolleg:innen.

Auch Lena Scherer kennt das. Auf den Gängen ihrer Regelschule hört sie oft Sprüche, die sie „der AfD zuordnen würde“, wie sie erzählt. Da geht es um „Geflüchtete, die die Mädels bepöbeln würden“, oder um „Sozialschmarotzer“. Auch Beschmierungen mit Hakenkreuzen seien schon vorgekommen. „In diesem Fall konnten wir das mit den Schülern gut aufarbeiten. Da war es glaubhaft eine jugendliche Dummheit, eine Grenzüberschreitung“, meint Scherer. Doch trotzdem: Eine gewisse Grundstimmung, eine AfD-Stimmung, die sei da.

Klare Kante gegen rechts

Gleichzeitig sind da Menschen, die gegen rechts und für eine bunte Zivilgesellschaft in Nordhausen eintreten. Seit der Bürgermeisterwahl organisieren sie sich in dem überparteilichen Bündnis „Nordhausen Zusammen“. Soziale Vereine, Künstler:innen, die nahegelegenen KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Stadträte – alle zusammen setzen sie sich ein für eine offene und tolerante Stadt. Auch Scherer ist dabei.

Darüber, wie weit dieses Engagement gehen darf, herrscht bei dem Workshop Unsicherheit. Wie offen darf man für seine eigenen Werte und Überzeugungen einstehen? Wo gebietet die Rolle als verbeamtete Leh­re­r:in Zurückhaltung? Referentin Müller-Elmau bestärkt die Teilnehmenden in ihren Rechten. Bei der AfD kann man beobachten, wie die Partei versucht, Begriffe wie „Neutralitätsgebot“ und „Schulfrieden“ durch gezielte Klagen zu definieren und zu instrumentalisieren. „Doch Neutralität bedeutet nicht Werteneutralität“, so die Juristin.

Verunsicherung ist ein gezieltes Mittel autoritär-populistischer Parteien, um vorauseilenden Gehorsam zu erwirken. Dagegen ist der Workshop vor allem eine Form des Empowerments. Ein Beispiel, wie demokratische Resilienzarbeit in Institutionen und der Zivilgesellschaft aussehen kann. Und gleichzeitig auch ein Fingerzeig, dass diese in der Breite fehlt.

Einige Wochen nach dem Workshop. Die Landtagswahl steht mittlerweile kurz bevor, das neue Schuljahr hat in Thüringen bereits begonnen. In einem weiteren Gespräch mit Lena Scherer sagt diese: „Ich zeige jetzt mehr klare Kante.“ Seit dem Workshop gehe sie „rein“ in die Gespräche mit ihren Schüler:innen. „Ihr dürft eine andere Meinung haben“, denkt sie sich, „aber ich hab auch eine“. Scherer ist kampfeslustig – um die Demokratie. Im Lehrerzimmer ihrer Schule hat sie einen Aushang gemacht für ihre Kolleg:innen. Dort hat sie die Inhalte des Workshops zusammengefasst. Damit das ganze Kollegium auch noch mal weiß, dass es Kante zeigen darf. Nein, muss.

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