Lehrer*innenmangel in Berlin: Gespart vor allem bei den Kleinsten
Eine Anfrage der Grünen zeigt: Der Wegfall der Profilstunden II trifft Berlins Grundschulen besonders stark. Referendare fangen rund 160 Stellen auf.
Es sind vor allem Grundschulen, die vom geplanten Wegfall der Profilstunden betroffen sind. Das geht aus den Antworten auf eine kleine Anfrage der Grünenfraktion im Abgeordnetenhaus hervor. Demnach waren an in fast allen Bezirken die meisten dieser Stunden für Grundschulen bewilligt worden. Durch den Wegfall im kommenden Schuljahr klafft dort damit die größte Lücke. Unter den Bezirken verlieren Pankow, Steglitz-Zehlendorf, Lichtenberg, Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg die meisten Stunden.
Die Bildungssenatorin hatte Ende Mai angekündigt, dass alle Schulen die Stunden aus dem Profilbedarf II „temporär aussetzen“ sollen. Das bedeutet, dass je nach Bezirk und Schulform Angebote etwa in der Sprachförderung, bei AGs oder in sonderpädagogischer Förderung wegfallen – darunter etwa auch Angebote, um sogenannte schuldistante Jugendliche wieder besser an Schulen heranzuführen.
Mit dieser „temporären Aussetzung“ will die Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) erreichen, dass mehr Lehrer*innen für den Unterricht in den Kernfächern zur Verfügung stehen. Dort solle sich der Mangel verringern.
Aus den Antworten geht auch hervor, dass die Schulverwaltung nicht erhebt, womit die Schulen diese Stunden füllen. „Die Entscheidung der Bildungssenatorin, Profilstunden zu kürzen, ohne Daten zu den wegfallenden Angeboten erhoben und Kriterien für die weitere Verteilung der Lehrkräfte entwickelt zu haben, ist äußerst fahrlässig“, kritisiert Louis Krüger, bildungspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. „Es bestätigt einmal mehr: Mit ihrem Schnellschuss gefährdet die Bildungssenatorin die Pläne für das kommende Schuljahr und verursacht ein Chaos mit unklaren Auswirkungen.“
Es fehlt eine volle Stelle pro Schule
Auch im kommenden Schuljahr werden voraussichtlich rund 695 volle Stellen für Lehrer*innen nicht besetzt sein, wie die Senatorin am Dienstag mitgeteilt hatte. Das ist knapp eine volle Stelle pro Schule – und fast so viel wie im vergangenen Jahr tatsächlich fehlten, wo die Verwaltung nach den Sommerferien eine ähnlich große Lücke gemeldet hatte. Und das, obwohl die Senatorin die Schulen mit einer weiteren Maßnahme bedacht hat: Nach Beschluss der Bildungsverwaltung werden Referendar*innen ab dem kommenden Schuljahr 10 statt 7 Wochenstunden unterrichten.
Damit werden die Lehramtsanwärter*innen nach Aussage der Senatorin Stunden im Umfang von rund 160 Vollzeitstellen auffangen. Grünen-Politiker Krüger kritisiert, dass die Senatorin darin zur „Verschönerung der Statistik fehlender Lehrkräfte“ nicht vor „schlechten Arbeitsbedingungen für Lehramtsanwärter*innen“ zurückschrecke. Der Senat habe keine Strategie, wie er Hospitationen und Unterricht unter Anleitung gewährleisten werde. In den meisten anderen Bundesländern würde Unterricht, den Referendar*innen zu leisten hätten, schrittweise angehoben.
Günther-Wünsch hatte am Dienstag nach der Senatssitzung den Jahresbericht zur Entwicklung der Schülerzahlen und zum Lehrkräftebedarf vorgestellt. Danach sinkt der Bestand an Lehrer*innen in Berlin trotz kontinuierlicher Neueinstellungen. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler nimmt dagegen zu. Laut Bericht besuchen im laufenden Schuljahr insgesamt gut 355.000 Schüler*innen die öffentlichen allgemeinbildenden Schulen. Nach der Prognose wird diese Zahl in den nächsten zehn Jahren weiter auf rund 372.200 im Schuljahr 2032/2033 steigen. Das ist ein Plus von 17.000 Schüler*innen, etwa fünf Prozent über alle Jahrgangsstufen hinweg.
Lücke wird bleiben
Gleichzeitig sinke der Bestand an Lehrkräften aufgrund von Pensionierungen und sonstigen Abgängen um rund 1.600 jährlich, sagte Günther-Wünsch. In den kommenden Jahren ist nach Einschätzung der Bildungsverwaltung deshalb weiterhin eine Lehrkräftelücke zu erwarten. Günther-Wünsch kündigte an, mit Schulaufsichten und Schulleiterverbänden in den kommenden Monaten darüber sprechen zu wollen, wie sich die begrenzte Ressource Personal da einsetzen lasse, wo sie gebraucht werde. Für den Kernunterricht – also die Fächer, die durch die sogenannte Stundentafel und das Einhalten der Rahmenlehrpläne vorgegeben sind – sind nach Angaben der Bildungsverwaltung rund 18.000 Lehrerstellen nötig.
Hinzu kommen aber weitere Angebote wie Förder- und Teilungsunterricht, so dass der Bedarf im laufenden Schuljahr bei insgesamt gut 32.000 Stellen liegt. Genau hier sieht Günther-Wünsch Gesprächsbedarf. Bisher würden die Stellen nach dem Gießkannenprinzip verteilt. Künftig sollen die unterschiedlichen Bedingungen an den rund 800 öffentlichen Schulen in Berlin stärker berücksichtigt werden, kündigte Günther-Wünsch an. Das heißt, manche Schulen müssen dann unter Umständen auf Stellen verzichten. „Es wird Entscheidungen zu treffen geben, die nicht alle draußen in der Praxis zufriedenstellen“, sagte die Senatorin. (mit dpa)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“