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Lampedusa und Italiens MigrationspolitikEine Strategie, die Leid schafft

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Giorgia Melonis Ziel, die Grenzen „sicher“ zu machen, ist gescheitert. Migration lässt sich nicht einfach so kontrollieren.

Migranten warten darauf, am 15. September 2023 von Lampedusa aufs Festland gebracht zu werden Foto: Cecilia Fabiano/ap

W ährend die einen in der Lage auf Lampedusa völlig zu Recht einen humanitären Notstand erkennen, schlachten rechte Medien und Parteien in ganz Europa diese nach Kräften aus. Sie schrei­ben von einer „Invasion“, die knapp 7.000 in dieser Woche auf der Insel Angekommenen nennen sie eine „Armee“. Die polnische PiS setzt im laufenden Wahlkampf voll auf die dramatischen Lampedusa-Bilder. Es ist eine Rhetorik wie im Krieg, deren Ziel nur sein kann, mehr Gewalt zu legitimieren. Die Lage an den Außengrenzen sei „außer Kontrolle“; daran, die Grenzen nun „endlich sicher“ zu machen, führe kein Weg mehr vorbei, heißt es. Es wäre interessant zu erfahren, wie sie sich das vorstellen.

Die Ankunftszahlen in Italien sind in diesem Jahr so hoch wie seit sechs Jahren nicht. Lampedusa, eine der Inseln Italiens, die Nordafrika am nächsten liegen, war in der Vergangenheit eines der wichtigsten Ziele der Boote Papierloser. Die Insel war schon mehrfach überfüllt, das Aufnahmelager zwischenzeitlich geschlossen. Heute sieht es dort wieder so aus wie vor Jahren. Und das unter der wohl rechtesten Regierung Italiens seit Mussolini – dem Bündnis von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

Meloni wollte die Migration über das Meer beenden und hatte dafür im Wahlkampf eine Seeblockade durch die Marine angekündigt. Es wäre die letzte Konsequenz eines seit Jahren zunehmend militarisierten Grenzregimes. Und zweifellos wäre es illegal.

Zum Glück schreckte Meloni davor bisher zurück. Stattdessen gibt es den mehr oder weniger selben Mix zur Migrationsabwehr wie bei den Vorgängerregierungen: Verhandlungen mit Nordafrika um Türsteherdienste, Unterstützung für die libysche Küstenwache, Repression gegen See­not­ret­ter:innen, möglichst schlechte Aufnahmebedingungen für Ankommende in der Hoffnung, diese mögen in andere EU-Staaten weiterziehen – und die berechtigte Klage über zu wenig Umverteilung innerhalb der EU. Dass die deutsche Regierung in dieser Woche die zahlenmäßig kaum ins Gewicht fallende, symbolisch aber höchst bedeutsame Umverteilung aus Italien stoppte, ist da ein fatales Signal.

2.340 Tote bisher im Mittelmeer

Diese Strategie verursacht enormes Leid unter den Flüchtenden – unter anderem 2.340 Tote bisher in diesem Jahr im Mittelmeer. Und die Ankunftszahlen stiegen trotzdem. Wer die Grenzen nun angesichts der Bilder aus Lampedusa „endlich sicher“ machen will – also weiter gehen will als Meloni –, wird letztlich nur eins erreichen: noch mehr Gewalt gegen Schutzsuchende.

Denn Migration lässt sich nicht so kon­trollieren, wie immer behauptet wird. Dass Meloni ihr Wahlversprechen nicht einlösen kann, beweist das einmal mehr.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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16 Kommentare

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  • "Migration lässt sich nicht so kon­trollieren, wie immer behauptet wird."



    Natürlich lässt sich Migration kontrollieren. Saudi-Arabien hat es der Welt kürzlich recht anschaulich vorgemacht.



    taz.de/Saudi-Arabi...chtlinge/!5950872/



    Auch die DDR hat es über Jahrzehnte geschafft ihre Grenzen äußert dicht zu halten - und das ganz ohne Meer als riesiges natürliches Hindernis.



    Die Frage ist doch nicht ob sich der Migrationstrom kontrollieren lässt, die Frage ist: wie weit sind die europäischen Regierungen bereit zu gehen - und wie weit trägt die europäische Bevölkerung das mit.



    Wollen wir uns abschotten mit Mauern, Türmen, Schießbefehl und anderen Gräueltaten - oder wollen wir radikal umdenken und die Milliarden und Abermilliarden für Frontex, Zäune und Lager in Bildung, Betreuung und Integration der Zuströmenden stecken. Diese Frage ist die einzige die sich in der Migrationskrise stellt - gestern, heute, morgen - es gibt keine andere Frage.



    Der aktuelle politische Rechtsruck quer durch Europa, die zunehmende Radikalisierung der Sprache und Taten - auch auf höchster EU-Ebene - lässt eine gewisse Tendenz erkennen wohin aktuell das Pendel ausschlägt...

  • Doch, Migration ließe sich kontrollieren, nur eben nicht mit legalen Methoden. Eine Methode bestünde darin, eine wirksame Grenzkontrolle (auch der Seegrenzen) durchzuführen, eine weitere, die sozialen Leistungen an Flüchtlinge soweit zu begrenzen, daß sich eine Flucht nach Europa materiell nicht mehr lohnt. Beides ist unter den jetzt bestehenden rechtlichen Regelungen nicht möglich. Eine dritte Möglichkeit würde zumindest die Lasten der Versorgung gleichmäßiger auf die europäischen Länder verteilen, und so entlastend wirken. Dazu müsste es endlich eine wirksame Regelung geben, die Flüchtlinge gerecht und angemessen auf die europäischen Länder zu verteilen. Dies aber scheitert an der Uneinigkeit innerhalb Europas.

    • @Stefan Schaaf:

      "daß sich eine Flucht nach Europa materiell nicht mehr lohnt."



      Ein Großteil der Menschen die hier ankommen stammt aus Kriegs- und Krisengebieten und wer den Tod vor Augen hat, dürfe sich allenfalls sekundär für die materielle Perspektive interessieren.



      "eine wirksame Grenzkontrolle"



      Das Grundrecht auf Asyl gilt völlig unabhängig von jeder Grenzkontrolle.

  • Na klar kann man illegale Migration eindämmen wenn will. Will man?

  • Wir sollten gesellschaftlich mit diesen Lügengeschichten aufhören.

    Migration lässt sich einschränken und aufhalten. Dafür gibt es weltweit genügend Beispiele (Israel, Australien, Saudi Arabien).



    Man müsste dafür aber Gewalt anwenden und könnte wahrscheinlich nicht mehr am Humanismus und den jetzigen europäischen Werten festhalten.

    Es ist die Frage, ob man das gesellschaftlich möchte. Ich bin dafür, da man aus meiner Sicht den Wohlstand und die Stabilität in Europa andernfalls gefährdet.

    • @Nils Steding:

      "Man müsste dafür aber Gewalt anwenden [...] Ich bin dafür"



      Wie konkret stellen sie sich das vor? So ähnlich wie die Erschießungen und Massengräber an der saudisch-jemenitischen Grenze?



      "da man aus meiner Sicht den Wohlstand und die Stabilität in Europa andernfalls gefährdet."



      Selbst wenn man bereit ist den eigenen Wohlstand über das blanke Leben Anderer zu stellen, bliebe noch immer die Frage unbeantwortet wie sie diesen Wohlstand in den massiv überalternden europäischen Gesellschaften ohne Zuwanderung erhalten will. Die logische Antwort wäre wohl Humanismus und europäische Werte bei der Lösung des Rentnerproblems ebenfalls aufzugeben. Den Versuch eine Gesellschaft auf der Extermination von allen die man als anders oder unnütz beurteilte aufzubauen haben wir ja schon einmal unternommen. Die Lehre daraus war unter Anderem die Würde des Menschen (nicht der Deutschen) als allerersten Artikel der Verfassung zu garantieren.

  • Die am nächsten gelegene Insel zu Afrika ist nicht Lampedusa, sondern Pantelleria in der Straße von Sizilien im Thyrrenischen Meer. Beide liegen übrigens auf dem Eurasischen Festlandsockel.

    In diesem Artikel und wie in vielen anderen Artikeln über Italien und der Migration, den sogenannten Seenotrettungen, wird vollkommen ausgeblendet, wie es einmal ans Festland gebracht, mit den Menschen weiter gehen wird. Die Sozialleistungen sind auch für Einheimische mies, die Afrikaner sind eigentlich gezwungen weiter in Richtung Innsbruck oder Menton zu fliehen, denn ohne Geld oder Lohn ist man aufgeschmissen und wird früher oder später Opfer einer Mafia.

    Präsidentin des Ministerrates Meloni macht sich deswegen also kaum Sorgen, alles eher nur Show, denn die weiß genauso, dass die Leute nicht sehr lange in Italien bleiben werden.

  • Bestätigt meine Theorie: Je mehr die EU dicht macht, desto mehr Flüchtlinge werden einreisen wollen - und dabei den Tod in Kauf nehmen.

    So ist es halt, wenn die erste Welt Afrika und den Nahen Osten für neo-kolonialistische Zwecke missbrauchen will.

    Je größer die Mauer ist, desto wertvoller muss das Leben da drin sein. Gated community, aber ich finde, auch Fremde sollen sich frei in einer gated community bewegen dürfen.

  • "Eine Strategie, die Leid schafft" - das ist wohl wahr. Allerdings ist eine echte Strategie gar nicht nicht erkennbar, eher allgemeine Hilflosigkeit.

    Und auch die taz zeigt in diesem Beitrag keinen einzigen gangbaren Lösungsweg auf, nicht einmal ansatzweise. Doch das Sterben im Mittelmeer wird erst aufhören, wenn sich niemand mehr in zerbrechlichen Booten auf den Weg macht. Die Voraussetzungen dafür müssen auf afrikanischem Boden geschaffen werden, nicht in Europa. Migration ist keine nachhaltige Lösung für die vielfältigen Probleme dieses Kontinents. Im Gegenteil: Im Zweifel verlassen die stärksten und leistungsfähigsten Menschen ihre Heimat in Richtung Europa und lassen dort ein immer noch mehr wachsendes Elend zurück.

    • @Winnetaz:

      Sagen wir mal, es wäre so wie sie sagen und die Lösung für das Problem liegt in Afrika.

      Dann ist die Frage, wie schafft man es dort Verhältnisse zu schaffen, die denen hier zumindest so ähnlich sind, dass sich niemand mehr gezwungen sieht, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um ein besseres Leben führen zu können.

      Und darauf fällt mir erstmal nicht viel ein. Ihnen?

      • @Jim Hawkins:

        Oder es läuft darauf hinaus, dass die Verhältnisse hier ähnlich schlecht werden wie in Afrika.



        Ich denke das ist realistischer.

  • "Denn Migration lässt sich nicht so kon­trollieren, wie immer behauptet wird."

    Ich warne schon länger davor, Migration lässt sich kontrollieren, der Artikel spricht es selbst an mit der versprochenen Seeblockade. Noch ist es illegal, aber wenn es nicht gelingt die Herausforderungen zu bewältigen die mit den Leuten kommen, dann wird sich die Abwägung Menschenleben vs Grenzschutz immer weiter in Richtung Grenzschutz verschieben.

    • @Volker Racho:

      Mord ist keine Lösung. Wir bringen etwa seit der Aufklärung auch Sozialleistungsempfänger (Armenhöuser) und selbst Straftäter (schrittweise Abschadfung der Todesstrafe) nicht mehr um! Wenn Sie schon keine Moral haben: Ein Mensch ist etwa 100.000 EUR wert, ihn ertrinken zu lassen, ist also auch fiskalpolitisch idiotisch.

      • @hedele:

        Nein, Mord bzw. Ertrinken lassen ist keine Lösung. Wie wäre es, Flüchtlingslager außerhalb der EU zu schaffen, idealerweise mit Arbeits- und vor allem Bildungsmöglichkeiten. Und der Möglichkeit, sich für ein Arbeitsvisum in der EU zu bewerben. Dorthin könnten gerettete Flüchtlinge gebracht werden. Wer keine Chancen in der EU hat und ein sicheres Herkunftsland, wird dann vielleicht zurückkehren und dort helfen, das jeweilige Land voranzubringen. Es flüchten nämlich nicht alle aus der größten Not. Vielen wird auch das Blaue vom Himmel versprochen - Menschenhandel ist ein Riesen-Geschäft.

      • @hedele:

        Ich würde mich davon distanzieren, den Begriff "Mord" inflationär zu gebrauchen. Niemandem, noch nicht mal den übelsten Anhängerinnen und Anhängern todbringender Ideologien würde ich pauschal eine geplante Tötungsabsicht gegenüber anderen unterstellen. Einzig deswegen, weil es nach einem Mord keine Rettung mehr gibt. Sie haben also all die Menschen, die vielleicht einfach nur Angst haben, ob aus Unwissen oder schlechtem Erlebnis, bereits aufgegeben, wenn Sie sie als Mörderinnen oder Mörder bezeichnen. Dies unabhängig von der Debatte.

  • Alle sind am Limit, das kann keiner umdeuten und die Ressourcen sind nicht unbegrenzt. Es gilt, an den Ursachen anzusetzen, aber das kann Deutschland und Europa auch nur soweit die Möglichkeiten reichen. Die Polin vielen Ländern kann letztendlich das jeweilige Land selbst. Alles Andere ist Anmaßung und Größenwahn.