L'amour toujours: Reclaim your Italo-Dance-Kracher
„Döpdöpdöp“ darf man nicht den Rechten überlassen. Stattdessen sollte „L'amour toujours“ zum antifaschistischen Sommerhit 2024 gemacht werden.
K ürzlich schrieb ich an dieser Stelle: „Döpdödödödöp, dödödöpdöpdöp!“ Weil ich diese Zeile auch als Titel wählte, waren die fürs Internet zuständigen Kolleg*innen nicht begeistert.
Sie zögerten, den Text mit dieser Überschrift ins Internet zu stellen. Ihre Bedenken: Diese Kombination aus ö, d und p sei ein rechter Code geworden.
Glücklicherweise wurden sie schnell davon überzeugt, dass sie einem Missverständnis unterlagen. Das Döpdöpdöp aus der Kolumne zitierte ein Lied der holländischen Fußballfans. Sicher gibt es unter denen auch Rassisten, und das Lied des Sängers Snollebollekes heißt „Links Rechts“. Mit politischen Richtungen hatte das aber wenig, mit himmlischen Richtungen dafür viel mehr zu tun: Während der EM hüpften die Oranjes zu diesem Lied von links nach rechts.
Verwechselt hatten meine Kolleg*innen das holländische Döpdöpdöp mit dem Döpdödödöp des 2001 zuerst veröffentlichten Elektrotrash-Hits „L’amour toujours“ der italienischen DJ-Legende Gigi D’Agostino.
Schriftlich untersagt, den Song zu spielen
Seit auf Sylt das D’Agostino’sche Döpdöpdöp durch rassistische Zeilen wie „Ausländer raus“ ersetzt wurde, gilt der Song hierzulande als verfemt, verfeindet, verloren – jedenfalls unter vielen, die links von rechts stehen.
Die Innenministerin verurteilte „aufs Schärfste“, Veranstalter wie die Uefa untersagten das Abspielen des Lieds, Radiosender meiden es, und die Forderungen, das Lied gleich ganz zu verbieten, waren so laut, das sich Kulturstaatsministerin Claudia Roth gezwungen sah, öffentlich dagegen zu argumentieren.
Der Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner (CSU, Referent für Arbeit und Wirtschaft in München) hat Anfang der Woche den Oktoberfestwirten nun sogar schriftlich untersagt, in ihren Festzelten das Lied „L’amour toujours“ zu spielen.
Sicher, wir leben in einem freien Land, und jeder hat das Recht, seinen Laden, sein Zelt, seine Party frei von rechten Parolen zu halten. Ich halte es trotzdem für falsch, diesen supergeilen Partykracher den Rechten zu überlassen, und sehe es wie der Berufsverband Discjockey („Wo sind wir denn?“) und Gigi D’Agostino („Das Lied nicht zu spielen ist eine explizite Absage an die Liebe“).
Wo sind wir denn beziehungsweise was machen wir, wenn Rechte auf die Idee kommen, zu Liedern von Adele, Daft Punk, Taylor Swift oder Snap rechte Parolen zu singen? Geben wir die dann auch auf?
Das „Sylter Lied“
Ende Mai berichtete die Berliner Polizei, am Rande einer „propalästinensischen“ Demonstration singende Leute wegen des Verdachts einer Straftat festgenommen zu haben. Sie hätten das „Sylter Lied“ gesungen.
Wow! So einfach machen wir es also den Rechten. Da reicht ein Sommersaufgelage, und schwups ist das Lied tabu und gehört nicht mehr dem Musikproduzenten Gigi D’Agostino, sondern den Syltern. Wäre ich Sylter, würde ich mich gegen diese Vereinnahmung wehren. Zum Beispiel ein Karaokezelt aufstellen, in dem jeder seine ganz persönliche Version von „L’amour toujours“ singen kann.
Die Leerfläche „döpdöpdöp“ ist doch eine Steilvorlage für eigene konkrete Poesie. Und längst kursieren ja auch alternative Varianten zu dem rassistischen Refrain. Unter denjenigen, die weit links von rechts stehen, ist geradezu ein Wettbewerb ausgebrochen. „Refugees welcome, Nazis aufs Maul“, lautet eine der radikaleren Versionen.
Das ist der einzige Umgang, der sich bei kultureller Appropriation durch die Nazis empfiehlt. Antifaschismus heißt: Reclaim your Italo-Dance-Kracher. Wenn Helene Fischer, begleitet von den Alphornbläsern Happy Bavarians und den Regensburger Domspatzen als Backing Vocal, ein Döpdödödöp-Cover einspielen würde – es wäre der Sommerhit 2024. Und ein antifaschistischer obendrauf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen