Lage der Flüchtlinge in Griechenland: Moria wird sich wiederholen
Trotz aller Kritik wird auf der griechischen Insel Lesbos ein neues Lager errichtet. Doch auch auf dem Festland leiden Flüchtlinge.
Wenn es eines gibt, worin sich die Insulaner und die Flüchtlinge auf Lesbos einig sind, dann darin, dass es kein „Moria 2“ auf der Insel geben soll. Die einen, weil sie Angst vor Corona, schlechter Presse und ausbleibenden Touristen haben. Die anderen, weil sie nicht hineinwollen und eine Verlängerung ihres Martyriums befürchten.
„Wir haben sie informiert, dass sie in die Einrichtung gehen müssen, aber sie lehnen das ab“, sagte ein Polizeisprecher der Agentur AFP über die Flüchtlinge, die weiter auf der Straße nahe der Inselhauptstadt ausharren. „Sie wollen Lesbos verlassen.“
Wie es aussieht, werden sie enttäuscht. „Niemand wird Lesbos verlassen, ohne vorher in dem Übergangslager gewesen zu sein“, sagte Bürgerschutzminister Michalis Chrisohoidis. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis bekräftigte, es werde ein dauerhaftes Auffanglager für Flüchtlinge auf Lesbos errichtet.
Damit wurde offenbar schon begonnen. Die griechische Zeitung Sto Nisi veröffentlichte einen auf Dienstag datierten Pachtvertrag zwischen dem Ministerium für Einwanderung und Asyl und dem privaten Eigner des Grundstücks, auf dem die Armee seit dem Wochenende ein Zeltlager errichtet. Der Eigner soll für die Nutzung des vertrockneten Landes bis zum 31. Dezember 2025 2,9 Millionen Euro erhalten. Das Lager dort soll also bleiben.
Anerkannt, aber obdachlos in Athen
Das EU-Asylunterstützungsbüro EASO kündigte an, die Bearbeitung von Asylverfahren aus Moria wieder aufzunehmen. Die EU-Agentur unterstützt die griechischen Behörden bei der Abwicklung der Verfahren in dem Lager.
Als die Coronapandemie im Frühjahr ausbrach, hatte Griechenland 20.000 Menschen in Moria zusammengepfercht. Rund 7.000 wurden seither auf das Festland gebracht. Ein Teil, weil ihr Asylantrag anerkannt worden war, ein Teil aus humanitären Gründen. Ein Teil kommt in Einrichtungen, die das UN-Flüchtlingswerk UNHCR mit EU-Mitteln betreibt. Andere kommen in Lager des griechischen Staates. Viele weitere – auch Anerkannte – leben indes in Athen völlig unversorgt auf der Straße.
Der 40-jährige Somali, der vor zwei Wochen als erster Coronafall im Lager Moria identifiziert wurde, war einer davon. Er war im Juli anerkannt worden und durfte Moria verlassen. Weil er in Athen aber völlig unversorgt blieb, kehrte er nach Lesbos zurück. Kurzum: Auf den Inseln geht es den Flüchtlingen besonders schlecht, auf dem Festland geht es aber nicht allen besser.
Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission es begrüßt, dass Deutschland Flüchtlingsfamilien mit Kindern aus Griechenland aufnehmen will. Man habe die Nachricht aus Berlin „sehr zustimmend“ aufgenommen und sei „in direktem Kontakt mit der deutschen Regierung“, sagte ein Behördensprecher auf Anfrage der taz in Brüssel. Am Dienstagnachmittag fand zudem ein Koordinierungstreffen mit anderen EU-Staaten statt.
Optimismus für europäische Lösung
Bisher haben sich neben Deutschland neun weitere EU-Staaten sowie die Schweiz zur Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen aus Moria bereiterklärt. Berlin und Brüssel werben darum, dass noch weitere EU-Länder teilnehmen und – wie Deutschland – auch Familien aufnehmen. So soll ein deutscher Alleingang vermieden werden und eine „europäische Lösung“ näherrücken.
„Wir sind optimistisch, dass es noch mehr Zusagen geben wird“, heißt es in einem Schreiben von EU-Innenkommissarin Ylva Johansson und Bundesinnenminister Horst Seehofer, das der taz vorliegt. In dem Brief vom 14. September geht es auch um die Umsiedlung von Familien von den griechischen Inseln in andere EU-Staaten.
„Die deutsche Präsidentschaft und die EU-Kommission möchten an alle Mitgliedstaaten appellieren“, an der „Umsiedlung unbegleiteter Minderjähriger und von Familien mit Kindern“ teilzunehmen, heißt es weiter. Es gehe darum, die Situation der Asylbewerber in Griechenland zu verbessern. Diese „enorme Herausforderung“ könne Europa nur gemeinsam meistern.
Derzeit leben in Griechenland nach Angaben von Seehofer und Johansson 85.000 Schutzsuchende, davon 26.700 auf den Inseln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen