Kult-Krimiserie „Liebling Kreuzberg“: Hier wird nicht gemordet
Die Kult-Serie „Liebling Kreuzberg“ zeigt das raue Westberlin kurz vor der Wende. Kiezanwalt Liebling muss sich dort mit Kleinganoven rumschlagen.
Sie werden’s schon vergangene Woche gemerkt haben: Die Saure-Gurken-Wochenendkrimi-Phase, aka. „Sommer“, hat dieses Jahr früher angefangen, der EM sei Dank. Aber gute Nachrichten, Leute: Zumindest an diesem Wochenende haben die Sender das ganz große Besteck ausgepackt. Will sagen: Es gibt vergleichsweise wirklich guten Ersatz aus der Konserve („Ein Fisch namens Wanda“, „Unbroken“, nur mal als Zuruf).
Allen voran: „Liebling Kreuzberg“ – zwei Folgen hat der RBB ins Programm gepackt. Und zwar ganz frühe: erste Staffel, Folge 3 und 4, „Der Beschützer“ und „Doppeleinsatz“. Das meint auch: Ein Hauptdarsteller ist ganz klar Westberlin, 1986. Zwischen der Kanzlei am Landwehrkanal, dem Grunewald, wo seine Ex-Frau mit Tochter wohnt, Leuschnerdamm weiter östlich in Kreuzberg. Und immer wieder die Mauer, und wenn’s nur ist, um dran vorbeizufahren. „Deutsche Wertarbeit“, sagt Robert Liebling einmal, und klopft auf die Wand voller Graffiti, unterwegs zu einem Klienten.
Wahrscheinlich muss man „Liebling Kreuzberg“ mittlerweile erklären. Mittendrin Liebling, gespielt vom unschlagbaren Manfred Krug, neun Jahre nach seiner Ausreise aus der DDR, ist Kiez-Anwalt mit Hang zu Wackelpudding (lieber den roten), knittrigem Anzug und ebenso rumpelig-sanftem Auftreten.
Kleinganoven statt Mörder
Statt typischer Mordfälle gibt’s eine betrügende Buchhalterin, einen Kleinganoven, der aus Versehen zwei Polizisten mit vorgehaltener Pistole zu Hause an sein Sofa kettet. Und einen Todesfall: in „Der Beschützer“, zwei Minuten vor Schluss. Die Story: Einer hat einen anderen angeblich mit einer Eisenstange verprügelt. Die Männer heißen Ismail und Orhan, im gängigen Alltagsrassismus zusammengeschrumpft auf Vornamen oder „die Orientalen“. Immerhin sagt Liebling auch: „Was wissen wir schon vom islamischen Ehrenkodex“.
„Liebling Kreuzberg“, zwei Folgen am Samstag ab 20.15 Uhr, RBB
Es liegt auch an Jurek Beckers Dialogen, dass „Liebling Kreuzberg“ bis heute eine derartige Wucht entfalten kann. Krug sagte einmal – es muss wohl in einer Doku über Becker gewesen sein, lange her, aber immer hängen geblieben, also ungefähr – dass Jurek Becker Filmdialoge so einzigartig schreiben könne, dass er als Schauspieler nie das Gefühl habe, beim Sprechen knistere ihm Papier zwischen den Zähnen.
Schon für die dritte Folge – also „Der Beschützer“ – gab’s 1987 den Grimme-Preis in Gold für Regisseur Heinz Schirk, Jurek Becker und Manfred Krug. Auch das zeigt noch einmal deutlich, wie krass diese Serie war. Obendrein spielt gefühlt das halbe Stammensemble von „Drei Damen vom Grill“ mit, jene andere große 1980er-Westberlinserie mit Brigitte Grothum als Lieblings Ex-Frau, Manfred Lehmann als Kleinganove mit dem 1-a-Kleinganovennamen Rudi Dreibaum. Ab Staffel 2 komponierte kein Geringerer als Klaus Doldinger die Musik und ab 1994 schrieb Ulrich Plenzdorf das Drehbuch. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.
Und im Grunde ist das Ganze sowieso eine einzige Liebesgeschichte: zwischen Jurek Becker, der die Serie erfunden hat und die Drehbücher schrieb, und Manfred Krug. (Empfehlung dazu: das Postkartenbuch „Neuigkeiten an Manfred Krug und Otti“.
Okay, eine herrliche Fußballguckszene gibt’s auch, Liebling im Bademantel auf dem Sofa, dann klingelt sein Nachbar, braucht juristischen Rat. „Wer spielt denn?“, fragt der. – Liebling: „Frag nicht so dämlich, interessiert dich doch sowieso nicht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin