Kühnert verzichtet auf SPD-Kandidatur: Die Fallhöhe war zu groß
Einleuchtend an Kevin Kühnerts Rückzug ist, dass dieser Job wahrscheinlich zu früh gekommen wäre. Weniger einleuchtend ist, was das mit Olaf Scholz zu tun hat.
K evin Kühnert will nicht SPD-Chef werden – und hat dafür einen guten und einen fragwürdigen Grund. Einleuchtend ist, dass dieser Job für den 30-Jährigen wahrscheinlich zu früh zu viel wäre. Die SPD neigt zu Intrigen, ist schon im Normalbetrieb schwierig zu steuern – in dem Panikmodus, in dem sie sich derzeit befindet, erst recht. Vor allem aber hätte der Juso-Chef Rettungserwartungen geweckt, die nur hätten enttäuscht werden können.
Niemand vermutet ja, dass Karl Lauterbach, Petra Köpping oder Klara Geywitz der verunsicherten Partei ad hoc den Weg leuchten werden. Bei Kühnert wäre das anders gewesen: Er ist nicht nur eloquent, gescheit und taktisch versiert. Er hat bei der Groko-Frage gesehen, dass diese die SPD in eine Existenzkrise stürzen wird, anders als die allermeisten Parteilinken. Kühnert verkörpert das Unverbrauchte – und hätte als Parteichef sofort liefern müssen.
Die Fallhöhe zwischen dem umjubelten Jungstar und dem gescheiterten Parteivorsitzenden hat etwas Schwindelerregendes.
Weniger einleuchtend ist, dass Kühnert mit Rücksicht auf Olaf Scholz nicht antritt. Rebell gegen Establishment, Raus-aus-der-Groko gegen Weiter-so, neu gegen alt, links gegen Mitte – das wäre, so Kühnert, zu viel Polarisierung für die SPD. Daraus spricht eine typisch sozialdemokratische Scheu vor fundamentalen Entscheidungen.
Die SPD ist eine Konsensmaschine, die nach innen integriert und technokratisch Kompromisse schmiedet. Sie ist, mindestens seit 60 Jahren, eine Partei des Ausgleichs. Damit war sie lange erfolgreich. Jetzt ist sie es, in einer zusehends polarisierten Öffentlichkeit, nicht mehr.
Der SPD hilft jetzt nur eine radikale Wende. Sie muss sich entscheiden. Bleibt sie eine blasse, mittelvernünftige Regierungsfunktionspartei, oder macht sie eine Kurve nach links, auch wenn dabei ein paar GenossInnen abspringen?
Kühnert traut der SPD das nicht zu. Das ist keine gute Neuigkeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs