Kritik an der EU-Kommissionschefin: Wider die Merkeleyen
Ursula von der Leyen verweigert sich der internationalen Presse. Auch von Schuldzuweisungen will die EU-Kommissionschefin nichts hören.
E rst wurden „Brüssel“ und „die EU“ zur Zielscheibe, nun steht die Kommissionschefin am Pranger: Wegen der schleppenden Lieferung von Corona-Impfstoff wird sogar der Ruf nach dem Rücktritt von Ursula von der Leyen laut. Zeitungen in Großbritannien, Frankreich und Luxemburg werfen der CDU-Politikerin Inkompetenz und Deutschlastigkeit vor.
Tatsächlich geriert sich die Vertraute von Bundeskanzlerin Angela Merkel allzu oft so, als sei sie immer noch eine deutsche Ministerin. Den letzten Beweis lieferte ihr ZDF-Interview am vergangenen Sonntag. Während ganz Europa auf Erklärungen für das Debakel um AstraZeneca wartete, wandte sich von der Leyen ausschließlich an das deutsche Publikum.
Das war ein ungeschickter Fehltritt, mit dem sie sich einen Shitstorm frustrierter EU-Korrespondenten einhandelte. Seit Monaten werden die mehr als 1.000 akkreditierten Journalisten mit Erfolgsmeldungen abgespeist. Mitten in der schlimmsten Krise der EU bleiben kritische Fragen unbeantwortet. Kein Wunder, dass da vielen der Kragen platzt.
Doch es geht nicht nur um kommunikative Fehler, sondern im Kern um die Frage, ob die EU von einer unabhängigen Behörde mit europäischen Kommissaren geführt wird – oder von einem kleinen Zirkel aus deutschen (CDU-) Politikern und ihren Beratern. Und es geht darum, wer hier eigentlich die politische Verantwortung trägt. Von der Leyen ist dazu offenbar nicht bereit.
Die EU-Kommissionschefin, die nicht durch eine Wahl, sondern durch politische Ränkespiele an die Macht gekommen ist, verweist bei Nachfragen stets auf die 27 EU-Staaten, die an allen Entscheidungen über die Impfstrategie beteiligt waren. Sie selbst will keine Verantwortung übernehmen. Dies ist inakzeptabel. Entweder die Kommissionschefin steht zu ihren Entscheidungen und korrigiert ihre Fehler oder sie tritt ab.
Allerdings greift es zu kurz, im Streit über die Impfstrategie nur auf „Brüssel“ und von der Leyen einzudreschen. Mindestens ebenso große Verantwortung trägt Kanzlerin Merkel, die im Sommer 2020 den EU-Vorsitz führte. Im Kanzleramt müssen denn auch die kritischen Nachfragen ansetzen – nicht nur in Brüssel. Nur so lassen sich die „Merkeleyen“ – also die vertraulichen Absprachen zwischen Merkel und von der Leyen – aufklären.
Und vielleicht auch abstellen. Diese Absprachen am Beginn des Impfdebakels führten zu Verzögerungen bei den Bestellungen, aber auch zu Intransparenz und Kompetenzwirrwarr. Das zu entflechten wäre wichtiger, als den Schwarzen Peter immer nur nach Brüssel zu geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus