Kritik an Mediziner-Promotionen: Diss zweiter Klasse
Verteidigungsministerin von der Leyen darf ihren Doktortitel behalten. Aber wie sinnvoll sind medizinische Doktorarbeiten generell?
Zweifel hegt Weber-Wulff jedoch daran, wie zeitgemäß medizinische Doktortitel generell sind. In der Medizin werde schnell promoviert, oft begleitend zum Studium, und die Betreuung sei häufig nicht sehr gut. „ Ich bin dafür, den Dr. med. einfach abzuschaffen“, meint Weber-Wulff. Stattdessen sollte es wie in den USA ein Berufsdoktorat geben. „Wer forschen will, sollte nach dem Studium ein PhD, ein Doktorandenstudium, absolvieren.“ Auf VroniPlag Wiki, wo die Plagiatssucher alle sezierten Doktorarbeiten veröffentlichen, sind 100 der 166 dokumentierten Fälle Dissertationen im medizinischen Bereich.
Tatsächlich gilt die medizinische Promotion als Sonderfall. Von 25.000 abgeschlossenen Promotionen entfielen im Jahr 2009 allein 30 Prozent auf den Humanmedizinischen Bereich. Der Wissenschaftsrat, der die Regierungen von Bund und Ländern berät, hatte die Promotionspraxis in der Medizin wiederholt kritisiert und bereits 2011 angekündigt, Vorschläge zur Qualität medizinischer Promotionen und zu einem berufsbefähigenden Titel zu unterbreiten. Das Thema stehe nach wie vor auf der Agenda, sei aber nicht abgearbeitet, teilte die Geschäftsstelle auf Anfrage mit.
Auch die Hochschulrektorenkonferenz, HRK, grübelt darüber nach, „wie man flächendeckend sicherstellt, dass in der Medizin wissenschaftlich anspruchsvolle Promotionen erstellt werden“. Das teilte die Vizepräsidentin der HRK für Hochschulmedizin, Eleonore Weber, der dpa mit. „Dies könnte unter anderem dadurch erreicht werden, dass die medizinische Promotion strukturierter abläuft. Auch sollte die Auswahl der Promovendinnen und Promovenden gezielter erfolgen und ihre Einbeziehung in Forschungsprojekte sichergestellt sein.“ Derzeit befasse sich eine Arbeitsgruppe der HRK mit diesen Fragen, sei aber noch zu keinem Ergebnis gekommen.
Zu viele Doktorarbeiten?
Wie viele Menschen derzeit an ihrer Doktorarbeit werkeln, ist nicht bekannt. Schätzungen gehen von 200.000 Promovierenden aus. „Mein Eindruck ist, dass in Deutschland ein bisschen zuviel promoviert wird“, meint darüber hinaus Emanuel Towfigh, der der Jungen Akademie des wissenschaftlichen Nachwuchses angehört und Sprecher der AG Wissenschaftpolitik ist. „Es wäre sicher gut, wenn an den Universitäten weniger promoviert würde, aber die Doktoranden dafür besser betreut würden.“
Ein Doktortitel ist in Deutschland eben nicht nur Ausweis von wissenschaftlichem Interesse, sondern eine Art postmonarchischer Adelstitel. Die Grünen hatten 2011 vorgeschlagen, den Doktortitel, egal in welchem Fach erworben, gänzlich aus den Personalausweisen zu streichen. Der Antrag war an der parlamentarischen Mehrheit von Union und FDP gescheitert. Weber-Wulff hält das Anliegen für richtig. „Der Doktortitel gehört in die Hochschule und nicht ans Türschild.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Nach der Sicherheitskonferenz
Expressverbindung von München nach Paris