Kritik an „Léon, der Profi“: Ein anderer Blick
Wenn im Sommer keine neue Krimiware kommt, schaut man zurück. Und was man da so sieht, gibt einem ganz schön zu denken.
Normalerweise stehen hier ja Tipps. Also Texte, die so was sind wie der „Daumen hoch“ in Fernsehzeitschriften. Dies hier ist jedoch einer, der zeigt, wie sich der Blick auf Filme verändern kann und muss, die einsortiert sind im Regal mit den Aufklebern „Moderne Klassiker“ oder „Arthouse“. „Léon, der Profi“ also. Luc Besson, Jean Reno, Filmkarrierebeginn für Natalie Portman, damals gerade 13, dies ist ein ehrenwertes Haus.
Es ist die übliche sommerliche Saure-Gurken-Zeit wochenendkrimimäßig, für die paar Filme oder Serien, die in Frage kommen, braucht man keine fünf Finger. Vorschläge an die Redaktion, welcher soll’s sein, ach „Léon“, okay, wird gemacht.
Zuletzt gesehen vor fast 25 Jahren zum Kinostart hier. Im Kopf: Blutspratzendes Gemetzel, aber ohne billige Oberflächlichkeit. Dafür cineastische Bilder, als hätten sich Edward Hopper, Jeff Wall und Jim Jarmusch zusammengetan. Ein Auftragskiller, der bügelt, jedes Blatt seiner Topfpflanze einzeln abwischt, lächelnd dahinschmilzt bei einem alten Gene-Kelly-Film, Milch trinkt, dazu Streicher.
Er kümmert sich um die 12-jährige Mathilda von nebenan, ihre Familie frisch ermordet, nicht von Léon natürlich. Sie ist endlos cool, raucht, pampt ein paar Jungs auf der Straße an: „Spielt woanders. Ich muss nachdenken.“ „Léon“ erschien im gleichen Jahr wie Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ – und gehörte mit zu dieser überwältigenden Revolution des Davor.
Was nicht mehr geht
Spulen wir ein paar Jahrzehnte vor. Der Look, die immer noch umwerfende Darstellung von Reno und Portman, all das: wurscht. Wegen solcher Szenen: Mathilda wird im Ratespiel zu Britney Spears und singt „Like a Virgin“. Léon kauft dem Kind ein rosa Spitzenkleid, die Kamera schwenkt langsam von ihren nackten Knien über ihre Beine nach oben, bis zu ihrem berüschten Ausschnitt.
Samstag, 11.07. um 22.05 Uhr auf VOX
Sie sagt zu ihm, wie wichtig es sei fürs Sexualleben, das „erste Mal“ mit jemandem zu erleben, den man liebe, er entgegnet, dass er das nicht wisse. Sie bringt ihn zu Bett, nur bekleidet mit Trägerhemdchen und Unterhose. Die Liste ist endlos.
Vor zweieinhalb Jahren erzählte Natalie Portman auf der Kundgebung einer Frauendemo in L. A. – in den Anfängen der MeToo-Bewegung – von damals. Die erste Fanpost, die sie bekommen hatte, sei eine Vergewaltigungsfantasie gewesen. Im Zuge von MeToo wurde gegen Luc Besson wegen sexuellen Missbrauchs ermittelt, die Untersuchung dann eingestellt. Leute, diesen Film anschauen, einfach so: Das geht längst nicht mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag