Kritik am ÖRR: Das Sprachrohr der Konservativen
CDU-Politiker kritisieren die Entscheidung, Moderatorin Ruhs zu ersetzen. Doch der ÖRR sollte weder rechts noch links sein, sondern machtkritisch.

W er setzt sich in Deutschland für die Pressefreiheit ein? Für demokratische Politiker:innen ist die Pressefreiheit ein hohes Gut, zumindest beteuern sie es immer wieder. Doch die jüngsten Diskussionen im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk lassen darauf schließen, dass auch hier konservative Politiker Einfluss nehmen wollen.
Nachdem der Norddeutsche Rundfunk (NDR) Mitte September verkündete, dass die Autorin Julia Ruhs von NDR-Seite aus nicht mehr das Dokuformat „Klar“ moderieren würde (sie moderiert das Format weiter, allerdings für den Bayerischen Rundfunk, der mit dem NDR eine Kooperation hat), hielten sich Politiker:innen nicht etwa heraus – was sie verfassungsmäßig tun müssten. Denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll unabhängig agieren.
CDU-Fraktionschef Jens Spahn hält die redaktionelle Entscheidung des NDR für „problematisch“ und attestierte den Öffentlich-Rechtlichen ein „Rechtfertigungsproblem“. CDU-Ministerpräsident Daniel Günther sprach von einem „extrem schlechten Signal“. Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär, ging sogar noch weiter: „Ich finde, man muss jetzt beispielsweise klar sagen, wir frieren die Gebühren auf dem jetzigen Niveau bis auf Weiteres ein, damit endlich Druck entsteht, damit Reformen passieren“, sagte er der Welt.
Wie steht es um die Unabhängigkeit?
Das bedeutet: Regierungspolitiker erklären öffentlich, dass man eigentlich unabhängigen Medien Gelder entziehen will, bis sie so handeln, wie man sich das wünscht. Donald Trump wäre stolz.
Denn ihm sind demokratische Grundsätze vollkommen egal. Schon seit Jahrzehnten verklagt er Medien wegen nicht genehmer Berichte, bezeichnet unabhängige Journalist:innen als „Feinde“ des Volkes – und nun hat er als US-Präsident die Macht, seine autoritäre Agenda in die Tat umzusetzen. Seine Medienbehörde FCC hat über gezielten Druck zwei Trump-kritische Late Night-Shows absetzen lassen; eine sofort, eine ab nächstem Jahr. Seine neueste Klage richtet sich gegen die New York Times.
Kritische Berichterstattung über die Regierung sei „illegal“, verkündete Donald Trump denn auch folgerichtig. Oder anders: Schluss mit unabhängiger Berichterstattung. Was Pressefreiheit ist, das bestimmen wir. Der Wind im Land, so heißt es allerorts von Trump-Getreuen, habe sich gedreht.
In Deutschland, würde man hoffen, liefe es anders als in den USA. Hier würden sich die Medien doch wehren? Und auf redaktioneller und journalistischer Unabhängigkeit bestehen? Aber auch hier geschieht das Gegenteil.
WDR-Chefredakteur kritisiert Personalentscheidung
Mit einem bemerkenswerten Post bei LinkedIn meldete sich am Wochenende WDR-Chefredakteur Stefan Brandenburg zu Wort.
Mit keinem Wort verteidigt er in seinem langen Post die Meinungs- und Pressefreiheit. Sondern beklagt die Entscheidung des NDR, nicht mehr mit der als konservativ geltenden Julia Ruhs zusammenzuarbeiten. Menschen mit einem „konservativen Weltbild“ fühlten sich nicht mehr vertreten. Es müsse sich etwas ändern.
Die Öffentlich-Rechtlichen müssten „handwerklich guten Journalismus“ machen, so Brandenburg. Man sollte sagen, „was ist und nicht, was von uns gewünscht ist“. Dann schreibt er: „Und ja, es geht auch darum, zu verstehen, dass die Mehrheiten in diesem Land derzeit eher konservativ sind.“
Es ist interessant, wie offen Stefan Brandenburg seine fehlende journalistische Unabhängigkeit zur Schau stellt: Er verlangt, dass Berichterstattung sich an dem orientieren muss, was gerade politische Mehrheit ist. Sein Post kann auf zweierlei Weisen interpretiert werden. Entweder Brandenburg sagt, dass die Öffentlich-Rechtlichen bisher nicht unabhängig berichtet haben. Oder er sagt, dass sie es ab jetzt nicht mehr tun sollen. In jedem Fall fällt er den vielen Journalist:innen, die sich tagaus, tagein um unabhängige Berichterstattung bemühen, in den Rücken.
Ein unkritisches Format
Man kann mit der Entscheidung des NDR, Julia Ruhs durch eine andere Moderatorin zu ersetzen, unzufrieden sein. Tatsächlich erscheint es unklug, einer Person wie Ruhs, die in erster Linie auf die Links-gegen-Rechts-Polarisierung setzt, eine derartige Chance für Inszenierung zu bieten. Das Format „Klar“ war von journalistisch schlechter Qualität, es war nicht machtkritisch, es war uninteressant. So ärgerlich es auch ist, ein schlechtes journalistisches Produkt beizubehalten, so erscheint der Schaden nun doch ungleich größer. Die (unwahre) Erzählung des „linken“ Rundfunks wird mächtig politisch und medial gestreut.
Der NDR hat, das nur nebenbei, Ruhs durch die Moderatorin Tanit Koch ersetzt, mit deren konservativer Vergangenheit bei Bild und Focus die ARD nun wirbt. Und damit demonstriert die ARD, ähnlich wie Stefan Brandenburg, dass sie den zentralen Wert von Journalismus nicht in seiner Unabhängigkeit sieht. Unabhängiger Journalismus ist weder rechts, links oder konservativ. Er ist nur eines: machtkritisch.
Und zwar egal, ob man die politische Richtung der Macht gut oder schlecht findet. Die persönlichen Befindlichkeiten von Journalist:innen haben in der Berichterstattung nichts zu suchen. Bei den Öffentlich-Rechtlichen scheint es, glaubt man deren Verlautbarungen, jedoch so zu sein. Der politische Wind weht konservativ. Spahn, Günther und Linnemann erklären, was sie erwarten. Und die öffentlich-rechtlichen Strukturen scheinen zu gehorchen.
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