Krise bei den Grünen: Bloß cool bleiben
Die Grünen schwächeln in den Umfragen. Woran das liegen könnte, mögen viele Parteifreunde lieber gar nicht wissen wollen.
Die Witze, die derzeit auf den Fluren der Ökopartei-Fraktion im Bundestag gerissen werden, klingen manchmal etwas zynisch. Nach der Bundestagswahl, heißt das, könnten wir beide arbeitslos sein – weil es die Fraktion nicht mehr gibt. „Galgenhumor, große Verunsicherung, Ratlosigkeit.“ So fasst ein Parlamentarier die Stimmung vieler KollegInnen zusammen.
Es steht nicht gut um die einst so selbstbewussten Grünen. Seit der Inthronisierung von Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt als Spitzenduo im Wahlkampf geht es in den Umfragen stetig bergab. Die Partei, die früher einmal eine neue Volkspartei werden wollte und vor einem Jahr bei komfortablen 13 Prozentpunkten lag, wirkt müde und kraftlos.
Gerade einmal 8 Prozent der Bürger würden sie laut Meinungsumfragen wählen, mehrere Institute taxierten sie im Bund Ende April auf 6 Prozent. Da scheint der Tod durch die Fünfprozenthürde plötzlich greifbar nahe, zumal die Grünen bei Wahlen oft noch etwas schlechter abschneiden als in Umfragen kurz zuvor prognostiziert. Geht es also ums Überleben der Grünen? Und, wenn ja, was tun sie dafür?
Nicht der heiße Scheiß
Dass das Spitzenteam etwas mit dem Abstieg zu tun haben könnte, streiten die beiden Protagonisten standhaft ab. Die Vorstellung des grünen Wahlprogramms im März feierten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir als eigenen Erfolg – am Imageproblem der Grünen änderte es nichts. Das Spitzenduo der Grünen sieht sich als Opfer von Stimmungen, die sie nicht beeinflussen können. Kurzum – Pech. Göring-Eckardt erklärte nach der deprimierend verlaufenen Saarland-Wahl lakonisch, die Themen der Grünen seien derzeit eben nicht „der heiße Scheiß“.
Und nun? „Kühlen Kopf behalten“, sagt Göring-Eckardt am Telefon. Sie klingt heiter und entspannt, gerade ist sie in Schleswig-Holstein unterwegs, wo am nächsten Sonntag der Landtag gewählt wird. „Wir dürfen uns nicht nach innen orientieren, sondern müssen draußen für unsere Themen kämpfen.“ Kohleausstieg, die Ehe für alle, ein Einwanderungsgesetz. „Die Leute wählen keine Partei, die an sich zweifelt.“
Katrin Göring-Eckardt
Göring-Eckardt und Özdemir touren durch Deutschland, lange Tage, kurze Nächte, Termin folgt auf Termin. „Drüber reden“, heißt das Wahlkampfformat. Tatsächlich sind viele dieser Veranstaltungen gut besucht, die Bürger wollen reden. Aber dass sie diese Grünen dann auch wählen, das heißt das noch lange nicht.
Göring-Eckardt und Özdemir waren eine maximal pragmatische Entscheidung der Parteibasis. Beide gehören zum Realo-Flügel, beide sind sind erfahrene Profis und stehen seit über einem Jahrzehnt in unterschiedlichen Funktionen in der ersten Reihe der Grünen. Und beide gelten als Sympathisanten von Schwarz-Grün, der Koalition, über die sich die Grünen jahrelang stritten.
Manche Linksgrüne halten genau das für den Kern des Problems. Göring-Eckardt und Özdemir wollten so gerne an der Seite Merkels in der Kabinettsbank sitzen, dass sie bereit seien, alles mitzumachen, lautet der Verdacht. „Alles“ meint in dem Fall: zu viel. Außerdem verprelle die demonstrative Offenheit nach allen Seiten diejenigen Wähler, die sich eine linke Konturierung wünschten. „Die Grünen müssen deutlicher links sein, um die Abwanderung ihrer Wähler zur SPD zu stoppen“, sagt Christian Ströbele, der Kreuzberger Haudegen und Bundestagsabgeordnete.
Kretschmann und Trittin
Ströbele ist einer der wenigen, die sich mit einer solchen Einschätzung zitieren lassen. Öffentlicher Streit wirkt zerstörerisch, das hat die Partei in den Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre gelernt. Die Erschütterungen gehen so tief, dass selbst erklärte Feinde zueinander finden. Kretschmann und Trittin – zwei ältere Herren markierten zuletzt die gegensätzlichen Pole der Grünen.
Hier der ökokonservative Ministerpräsident Baden-Württembergs, der auf Versöhnung mit bürgerlichen Milieus und der Wirtschaft setzt, für Merkel betet und Kompromisse schmiedet, die grüne Programmatik konterkarieren. Dort der gewiefte Parteilinke, Ex-Bundesminister, Ex-Fraktionschef, Ex-Spitzenkandidat, der die ökologische Frage mit Sozialpolitik und Umverteilung kombinieren will. Beide beharkten sich in einer Weise öffentlich, die manche Parteifreunde entsetzt und ratlos zurückließ.
Doch damit soll nun Schluss sein. Als im März der neue Bundespräsident gewählt wurde, trafen sich Kretschmann und Trittin zu einem Vier-Augen-Gespräch in der baden-württembergischen Landesvertretung in Berlin. Seitdem herrscht Ruhe. Trittin taucht ab, wenn man ihn um eine Einschätzung zum Kurs der Grünen bittet – und auch aus Stuttgart sind keine Anmerkungen zum Bundeskurs mehr zu hören. Die beiden scheinen ein Agreement getroffen zu haben, ihren Zwist zum Wohle der Grünen auszusetzen, wenn nicht zu begraben.
Für die Wahlkampfmanager in Berlin ist dieses Stillhalteabkommen eine gute Nachricht, allerdings ist es auch ein Alarmsignal. Wenn Kretschmann und Trittin kooperieren, muss die Lage wirklich ernst sein.
Auf Koalitionsfähigkeit getrimmt
Dass ausgerechnet Martin Schulz die Partei in eine bedrohliche Krise schickt, entbehrt nicht der Ironie. Seit 2013 haben die Grünen viel dafür getan, um sich für die bürgerliche Mitte – und eine mögliche Koalition mit der Union – aufzuhübschen. Sie trugen in der Flüchtlingskrise harte Verschärfungen des Asylrechts mit, schwächten Forderungen nach Steuererhöhungen ab und dimmten alles, was nach klassischer Sozialpolitik und Umverteilung klang, herunter.
Die Personalien Göring-Eckardt und Özdemir passten zu diesem Versöhnungsangebot an das gut verdienende und ökoaffine Bürgertum. Eigentlich spräche vieles dafür, dass diese Kursanpassung gut ankommen könnte. Die gehobene Mittelschicht mag eine theoretische Sympathie für arme Menschen hegen, aber Hartz-IV-Erhöhungen betreffen sie nicht in ihrer Lebenswelt. Özdemir, das belegen andere Umfragen, ist der beliebteste Oppositionspolitiker in Deutschland. Er müsste Leute ziehen, eigentlich. Nur merkt man bisher nichts davon.
Sicher ist: Seit Schulz verstehen viele Grüne die Welt nicht mehr. Sie zielen mit ihrem Kurs auf die Mitte. Und jetzt rennen ihnen die Leute weg, weil ein Traditionssozi mit Glatze und Kassengestell die Agenda 2010 ins Visier nimmt? „Ehrlich gesagt bin ich ratlos“, sagt eine kluge und gut vernetzte Grüne im Bund. „Schulz mag anfangs mit seinem cool-dreisten Machtanspruch attraktiv gewirkt haben. Aber die Leute müssten längst zu uns zurückkommen.“ Das Wort „Ökologie“ tauche schließlich in keiner Rede von Schulz auf.
Kein Ausweg in Sicht
Die Analysen über einen Ausweg aus der Misere gehen auseinander. Linksgrüne wünschen sich hinter vorgehaltener Hand ein kantigeres Profil und eine stärkere Betonung des durchaus ambitionierten Programms. Trittin riet seiner Partei schon vor Monaten, eine Priorisierung erkennen zu lassen, sich also zur Nähe zur SPD zu bekennen. Dies tun Özdemir und Göring-Eckardt längst. „Cem und ich singen im Chor, dass wir am liebsten mit der SPD regieren würden“, sagt Göring-Eckardt. „Das wissen auch alle.“
Rot-Grün allein, dieses Lieblingsbündnis, hat aber den eklatanten Nachteil, dass es mangels Wählern keine Chance auf die Macht hat. Das hätte nur Rot-Rot-Grün. Und da bleibt Göring-Eckardt skeptisch. „Dreierbündnisse sind immer schwierig“, sagt sie. Für grüne Realos ist das Umfragetief besonders verwirrend. Denn die Stagnation auf niedrigem Niveau widerlegt scheinbar die beliebte These vom Erfolg in der bürgerlichen Mitte, den die Grünen mit ihrer gesamten Aufstellung sehnsüchtig suchen.
Dieter Janecek, Abgeordneter und Koordinator des Realo-Flügels, rät seiner Partei zur Coolness. In den ersten Wochen nach der Urwahl seien die Grünen zu unentschieden aufgetreten, sagt er. „Gut, dass wir uns da keine Richtungsdebatte ans Bein gebunden haben, denn der Schulz-Hype verblasst bereits wieder.“
Augen zu und durch, das scheint das Motto der Grünen-Spitze zu sein. Ein „Weiter so“, auch weil es keinen besseren Plan gibt. „Wir werden unser Kernthema, die Ökologie, stärker zuspitzen“, sagt Göring-Eckardt. „Wenn ich einen Grünen nachts um vier wecke, muss er in ein, zwei Sätzen erklären können, warum die ökologische Modernisierung nur mit uns wirklich kommt und vor allem warum wir sie so dringend brauchen.“ Welche ein, zwei Sätze das allerdings sein könnten, das wissen die Grünen im Moment selbst noch nicht.
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