Kriminalität in Mexiko: Gefährliches Reporterleben
In Mexiko leben viele Journalist:innen unter prekären Bedingungen. Sie riskieren täglich, ermordet zu werden.
J ulio Valdivia wurde 44 Jahre alt. Man fand seinen Körper an den Bahngleisen im Landkreis Tezonapa, einer abgelegenen Region im mexikanischen Bundesstaat Veracruz, wo kriminelle Banden um die Vormacht kämpfen. Neben der Leiche lag sein Motorrad, zehn Meter entfernt befand sich der Kopf des Reporters der Lokalzeitung El Mundo de Córdoba. Bevor Valdivia vergangenen Mittwoch ermordet wurde, fuhr er selbst von Tatort zu Tatort. 24 Stunden lang war er einsatzbereit, um über Morde und andere Verbrechen zu berichten.
Warum der Journalist sterben musste? Er war bedroht worden, heißt es. Vielleicht hat er zu schlecht über eine kriminelle Gruppe geschrieben, vielleicht hat er auch einfach vergessen, die Aktion einer anderen Bande entsprechend zu würden. Am Tag der Heiligen Drei Könige beispielsweise zwangen ihn Kriminelle, darüber zu berichten, wie sie in zahlreichen Gemeinden Spielzeug an Kinder verteilen.
Reporter, die für notas rojas – Berichte über Blut und Verbrechen – zuständig sind, seien gezwungen, solche Geschichten zu schreiben, erklärt der Reporter Miguel Ángel León Carmona nach dem Tod Valdivias auf der Plattform Pié de Página.
Gefährlichste Region für Medienschaffende
Auch León Carmona lebt in Veracruz, nach Angaben von Reporter ohne Grenzen die gefährlichste Region für Medienschaffende in Lateinamerika. 25 Journalistinnen und Journalisten starben dort in den letzten acht Jahren eines gewaltsamen Todes, insgesamt wurden in Mexiko seit dem Jahr 2000 über 130 ermordet. Oft sind es Kolleginnen oder Kollegen wie Valdivia, die dem Terror der Mafia, korrupter Politiker und gewalttätiger Polizisten zum Opfer fallen: Menschen, die in ihrer Heimat als Berichterstatter in extremer Form den kriminellen Machtverhältnissen ausgesetzt sind.
Und die oft unter sehr prekären Bedingungen leben. Der Fotograf Rubén Espinosa bekam für ein Titelfoto, das möglicherweise der Hintergrund seiner Ermordung war, 500 Pesos, circa 22 Euro. León Carmona weist darauf hin, dass Valdivia monatlich 4.000 Pesos verdient hat. Etwa 170 Euro. Seine Frau muss nun zwei Halbwaisen ernähren, ihr fehlte selbst das Geld für die Blumen für die Beerdigung.
Ein ermordeter mexikanischer Journalist, eine Witwe, die sich allein mit ihrem kleinen Sohn durchschlagen muss – das war auch der Stoff, aus dem die US-Autorin Jeanine Cummins den Roman „American Dirt“ gestrickt hat. Nach dessen Erscheinen Anfang des Jahres entspann sich eine teilweise skurrile Debatte über die Frage, ob eine weiße Autorin über Gewaltopfer, Geflüchtete und andere Personen aus Mexiko und Mittelamerika schreiben darf oder – vorsichtiger ausgedrückt – sollte.
Der Vorwurf: kulturelle Aneignung. Von einem „Trauma-Porno“ war die Rede, eine Bezeichnung, die folgerichtig auch auf diese Kolumne zutreffen könnte. Zum Teil konzentrierte sich die Kritik aber auch auf die Qualität des Thrillers, etwa auf die Klischees, die die Autorin mit ihren Protagonistinnen reproduzierte. Ohnehin gehe es nicht so sehr darum, wer die Geschichte erzählt, sondern wer sie verkauft, erklärte der US-mexikanische Autor Ilan Stavens zu Recht.
Für einen schlechten Preis
Julio Valdivia war kein Protagonist eines Thrillers. Er recherchierte Geschichten und musste sie zu einem schlechten Preis verkaufen. Er war einer der vielen Kolleginnen und Kollegen, die unter prekären Bedingungen arbeiten, täglich ihr Leben riskieren – und Informationen liefern, die in überregionalen und internationalen Berichten, wenn überhaupt, bestenfalls unter dem Satz „lokalen Medien zufolge“ auftauchen. Ohne sie könnten wir die kriminellen Mikrostrukturen nicht verstehen und nicht darüber berichten. Ohne sie gäbe es die Krimis nicht, die große Preise abräumen.
Darüber kann der gute Wille nicht hinwegtäuschen, Menschenrechtsverbrechen offenlegen zu wollen. Sollten wir nicht eher über Ausbeutung und ökonomische Aneignung sprechen?
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