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Präsident von MexikoLópez Obrador auf autoritärem Kurs

Andrés Manuel López Obrador eignet sich zunehmend einen autoritären nationalistischen Diskurs an – und hetzt gegen Medien und Menschenrechtsvertreter.

Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador Foto: ap/Marco Ugarte

S anjuana Martínez fühlt sich bedroht. „Sie wollen mich moralisch töten“, sagte jüngst die Leiterin der staatlichen mexikanischen Nachrichtenagentur Notimex. Ausnahmsweise sind es nicht wie sonst in Mexiko üblich Kriminelle oder korrupte Politiker, die der Journalistin ans Leder wollen. Ihre Angst speist sich aus Kritiken von Artículo 19, einer internationalen Organisation für Pressefreiheit mit einem Sitz in Mexiko-Stadt.

Gemeinsam mit einem Universitätsinstitut und dem Nachrichtenprogramm Aristegui Noticias hatte Artículo 19 aufgedeckt, dass Notimex in sozialen Medien gezielt Journalistinnen und Journalisten denunziert, die die staatliche Agentur kritisieren.

Die Chefin habe Mitarbeitende angewiesen, entsprechende Denunziationen über gefälschte Twitter-Accounts zu verbreiten, so der Vorwurf. Alles Lüge, entgegnet Martínez. Es gehe nur darum, die Regierung schlechtzumachen. Dabei habe es nie eine so große Pressefreiheit gegeben wie heute.

Nun ja. Sicher würde Präsident Andrés Manuel López Obrador keinen Artikel zensieren, aber es vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht namentlich Reporterinnen, Reporter oder Medienhäuser öffentlich an den Pranger stellt.

KritikerInnen als „Marionetten“

Ob ein Kollege die Migrationspolitik kritisiert, eine Kollegin die Energiepläne hinterfragt oder eine Zeitung mit den vielen Coronatoten aufmacht, sie alle sind für den Staatschef Teil einer Kampagne, die zum Ziel hat, ihn zu stürzen. Der sich links einordnende Präsident nennt sie etwa „Heuchler“ oder „Marionetten“ des alten Regimes.

Solche verbalen Angriffe können in einem Land, in dem ständig Medienschaffende bedroht und ermordet werden, lebensgefährlich sein. Darauf hat Artículo 19 vor Kurzem hingewiesen. Vielleicht war auch das ein Grund dafür, dass López Obrador die Organisation jetzt scharf angegriffen hat.

Besonders aber hat ihn geärgert, dass das US-Außenministerium in seinem Menschenrechtsbericht die Vorwürfe gegen seine Notimex-Freundin Martínez – „eine konsequente Journalistin“ – erwähnte und sich dabei auf Artículo 19 bezog.

Die Organisation werde von Washington finanziert und agiere im US-Interesse, tobte er und stellte klar: „Alle, die mit Artículo 19 zu tun haben, gehören der konservativen Bewegung an, die gegen uns ist.“ Die ihm nahestehende, ehemals regierungskritische Tageszeitung La Jornada titelte: „Bezahlt von den USA nährt Artículo 19 den Putsch in Mexiko.“

Zunehmend autoritär

Dass einer, der traditionelle patriarchale Familienbilder verteidigt, rücksichtslos auf fossile Energie setzt und eine konsequente Austeritätspolitik vertritt, seine Gegner als Konservative beschimpft, ist etwas verwirrend. Gefährlich aber ist es, dass sich López Obrador zunehmend einen autoritären nationalistischen Diskurs aneignet, der schwerwiegende Konsequenzen haben kann.

In Nicaragua oder Venezuela lieferten „internationale Geldgeber“ den Vorwand, um gegen kritische Stimmen vorzugehen, im Ecuador des ehemaligen Präsidenten Rafael Correa wurden so Organisationen kriminalisiert, die sich gegen die zerstörerische Erdölförderung im Amazonas gewehrt hatten.

Auch in Mexiko geht es nicht nur um die Presse. Neulich hetzte López Obrador in ähnlicher Weise gegen Menschenrechtsverteidiger. Wie Artículo 19, das unter anderem von der US-Entwicklungsagentur USAID unterstützt wird, hängen viele Nichtregierungsorganisationen von staatlicher, kirchlicher oder privater internationaler Finanzierung ab.

Angesichts eines Präsidenten, der auf einen paternalistischen Staat setzt und Finanztöpfe für selbst organisiertes Handeln am liebsten ganz abschaffen würde, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig. Das birgt zweifellos auch Risiken, aber die zivilgesellschaftlichen Organisationen agieren meist unabhängig. Nach der Hetze gegen Artículo 19 solidarisierten sich viele von ihnen mit den Angegriffenen und wiesen auf ihre eigene Bedrohung hin. Sie haben allen Grund dazu.

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Wolf-Dieter Vogel
Korrespondent
Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt in Oaxaca, Mexiko. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz ist er als Korrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig. Er arbeitet im mexikanischen Journalist*innen-Netzwerk Periodistas de a Pie und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.
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2 Kommentare

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  • Dieser Kommentar hat leider das inzwischen übliche Geschmäckle des Vorgehens gegen linke Regierungen: Menschenrechte, Minderheitenrechte, angebliche Verfolgung von Journalisten, Behinderung ausländischer NGOs usw.

    Diese Vorwürfe verstummen üblicherweise sofort, sobald es in den betreffenden Ländern den erwünschten Regime Change gab und Menschenrechtsverstöße, Minderheitendiskriminierungen, Verfolgung von Journalisten etc. von neoliberal-konservativen Regierungen begangen werden.

    Es langweilt!

    • @Khaled Chaabouté:

      Aber meinen Sie nicht, dass man gegen Verletzungen der "Menschenrechte, Minderheitenrechte, .... Verfolgung von Journalisten, Behinderung ausländischer NGOs usw" AUCH linker Regierungen schreiben muss, oder heiligt das Links-Sein die Mittel?



      Das scheint nämlich die aktuelle lateinamerikanische Linke so zu sehen.