piwik no script img

Kriegsrhetorik in der PandemieJeder kämpft für sich allein

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Krieg, Gemeinsinn und Vernunft: Wie PolitikerInnen über die Virusbekämpfung sprechen, spiegelt die kulturellen Gegensätze in Europa wider.

Ob mit Drohne oder ohne – die Kriegsrhetorik in der Corona-Krise ist omnipräsent Foto: Eric Gaillard/reuters

B efinden wir uns gegen das Coronavirus im Krieg? Entsprechende Rhetorik beispielsweise aus Frankreich ist in Deutschland auf verbreitetes Unverständnis gestoßen. In dieser Krise erweist sich anhand des Wortes „Krieg“, wie tief die Kluft zwischen den politischen Kulturen in Europa geblieben ist. Hinter den aktuellen europäischen Zerwürfnissen blitzen auch verborgene kulturelle Gegensätze auf.

In Deutschland heißt Krieg heute: Angriffskrieg. Sein Verbot genießt Verfassungsrang. „Nie wieder Krieg“ ist Leitmotiv deutscher Außenpolitik. „Soldaten sind Mörder“ gehört im aufgeklärten Bürgertum zu den geflügelten Worten. Krieg, das ist Töten, Erobern, Leid zufügen – das genaue Gegenteil einer Politik, die das Ziel hat, Leben zu retten.

In Frankreich heißt Krieg: Widerstand. Der Ruf zur Waffe steht in der Nationalhymne. Der aufgeklärte Bürger ist einer, der sich wehrt. Den Nationalfeiertag begeht das Land mit der größten Militärparade Europas außerhalb Russlands. Der Präsident ist der oberste Feldherr der Nation, wie einst Republikgründer General de Gaulle, der 1940 die Unterwerfung Frankreichs unter die deutsche Besatzung nicht hinnahm. Mit Krieg hält man sich ein Übel vom Hals und ringt es nieder.

In Großbritannien heißt Krieg: Gemeinsinn. Angesichts existenzieller Bedrohungen von außen rückt die Gesellschaft zusammen. Alle packen mit an. Nicht die Streitkräfte und der Kampf sind zentral, sondern es ist die gemeinsame Kraftanstrengung. Klassen- und Standesunterschiede verblassen, die Namenlose ist genauso wichtig wie der Prinz. Im Krieg sind alle Bürger als Gleiche anerkannt und die Nation bewährt sich als Ganzes.

Nach innen gekehrte Gemeinschaftsidylle

Alle drei Bedeutungshorizonte haben ihre Schattenseiten. Das deutsche Verständnis von Krieg macht es gedanklich unmöglich, aus eigenem Entschluss staatliche Massenmörder anderswo am Abschlachten ihrer Bevölkerungen zu hindern. Das französische Verständnis gebiert eine imperiale Überheblichkeit, in der Frankreich per Definition immer auf der richtigen Seite kämpft – der eigenen. Das britische Verständnis errichtet eine nach innen gekehrte Gemeinschaftsidylle unter der gütigen Führung immer währender Institutionen, in der reale Konflikte stets woanders stattfinden.

Was bedeuten diese verschiedenen Gedankenhorizonte für die politische Diskussion in der Coronakrise? Am einfachsten lässt sich das anhand dreier Fernsehansprachen analysieren: Emmanuel Macron am 16. März, Angela Merkel zwei Tage später und Queen Elizabeth am 5. April.

Macron rief – einen Tag nachdem er gegen den Rat von Experten Kommunalwahlen hatte abhalten lassen – sechsmal hintereinander: „Wir sind im Krieg“: Ein Krieg „gegen einen unsichtbaren Feind“, der die „Generalmobilmachung“ erfordert und dem die alleinige Aufmerksamkeit der Politik gebührt, womit er das Regieren per Dekret ankündigte; ein Krieg, in dem „alle Franzosen sich der nationalen Einheit verschreiben“ sollen, in dem „die Nation ihre Kinder unterstützt, die sich als Pfleger oder im Krankenhaus an vorderster Front dieses Kampfes befinden“, in dem die Landesgrenzen geschlossen bleiben – und nach dem, „wenn wir gesiegt haben“, die Dinge anders sein werden als zuvor.

In Frankreich heißt Krieg: Widerstand. Mit Krieg hält man sich ein Übel vom Hals und ringt es nieder

Angela Merkel nahm das Wort Krieg nicht in den Mund. Stattdessen sagte sie: „Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.“ Man dürfe die Herausforderung nicht unterschätzen, appellierte sie an die Vernunft der Bürger: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“

Queen Elizabeth wählte am 5. April ebenfalls nicht den Kriegsbegriff direkt. Sie bedankte sich beim Gesundheitspersonal „an der Front“. Sie lobte das gemeinsame Applaudieren der Menschen für Ärzte und Pfleger. Sie erinnerte an das Jahr 1940, als sie als Kind ihre erste Radioansprache hielt – „an Kinder, die aus ihrem Zuhause evakuiert und für ihre eigene Sicherheit verschickt worden waren. Heute werden wieder einmal viele Menschen ein schmerzliches Gefühl der Trennung von ihren Lieben verspüren. Aber heute wie damals wissen wir tief in uns, dass es richtig ist.“

Die Bürger zu Disziplin und Verzicht aufgerufen

Alle drei haben also im Grunde dasselbe gesagt. Sie haben an nationalen Zusammenhalt appelliert und die Bürger zu Disziplin und Verzicht aufgerufen – wie im Krieg. „Wie im Krieg“ ist aber eben nicht „im Krieg“, was alle wissen, die jemals einen Krieg erlebt haben. Es geht in erster Linie darum, sich für eine begrenzte Dauer an unangenehme Regeln zu halten. Manche Staaten müssen dafür „Krieg“ ausrufen, andere nicht. Mit unterschiedlichen Mitteln wird dasselbe Ziel angesteuert.

Tatsächlich sind militärische Abläufe aktuell sehr praktisch – und die einzigen, für die ausreichend viele Fachkräfte eingeübt sind. So manches, was im Zuge der Coronakrise geschieht, ist aus Kriegszeiten kopiert. Der Einsatz des Militärs zum Aufbau von Notkrankenhäusern. Die Triage auf Intensivstationen – Routine in Feldlazaretten an der Front. Das Requirieren von Unternehmen zur Produktion überlebensnotwendiger Güter – früher Rüstungsgerät, heute Beatmungsgerät. Die Diskussion über Coronabonds – wie einst Kriegskredite. Der politische Einfluss von Epidemiologen, wie ihn sonst nur Generäle genießen.

Kriege sind immer auch Modernisierungsschübe. Was folgt langfristig aus dem „Krieg gegen Corona“? Nimmt der Gesundheitssektor bald den Platz des Verteidigungssektors ein? Wird demnächst über Gesundheitsetats und kollektive Seuchenbekämpfung genauso intensiv debattiert wie über Rüstungsetats und kollektive Verteidigung? Wird globale Sicherheit neu definiert als globale Gesundheit? In Frankreich kursieren schon Forderungen, dieses Jahr am 14. Juli nicht Soldaten, sondern Krankenpfleger auf den Champs Élysées aufmarschieren zu lassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Bei all der blutrünstigen Rhetorik sticht Herr Kurz mal wieder ganz erfrischend hervor; "Team Österreich". Das schafft Gemeinsinn. Da packt man doch gerne an. Da steht man gemeinsam etwas durch. Das kann man auch nach der Krise noch ganz wunderbar vermarkten.