Krieg in der Ukraine: Ganze Viertel werden zerstört

Russlands Angriffe auf ukrainische Städte werden immer brutaler. Bomben fallen auf Charkiw und Kiew, in Mariupol sind Hunderttausende eingekesselt.

Blick aus einem zertörten Fenster auf einen zertrümmerten Hinterhof. Ein Soldat steht dort und wischt sich die Stirn ab, er wirkt extrem niedergeschlagen

Kiew am 2. März: Ein Hinterhof nach einem russischen Raketenangriff Foto: Vadim Ghirda/ap

BERLIN taz | Angriffe aus der Luft im Norden des Landes, Kämpfe am Boden und Artilleriebeschuss im Süden – so gestaltet sich das Kriegsgeschehen in der Ukraine eine Woche nach dem Beginn des russischen Überfalls. Entscheidend für die internationale Wahrnehmung sind derzeit die Luft- und Raketenangriffe auf Ziele in der Hauptstadt Kiew und der zweitgrößten Stadt Charkiw, die am Mittwoch weiter schwere Zerstörungen anrichteten.

Nach Angaben des ukrainischen Rettungsdienstes sind in der Uk­raine bislang mehr als 2.000 Zivilisten getötet worden. Hunderte Gebäude seien zerstört worden, darunter Krankenhäuser, Kindergärten und Wohngebäude, heißt es in einer Erklärung: „Jede Stunde verlieren Kinder, Frauen und Verteidigungskräfte ihr Leben.“

Für die weitere militärische Entwicklung ist unmittelbar entscheidender, wie die Schlachten um die beiden Küstenstädte Mariupol und Cherson ausgehen, die seit mehreren Tagen toben. Die aus der Krim vorgerückten russischen Verbände und die ukrainische Armee liefern sich offenbar seit mehreren Tagen um beide Großstädte heftige Kämpfe. Aus dem Zentrum Chersons wurden Videos von Militärfahrzeugen mit russischen Flaggen veröffentlicht, die Stadt soll teilweise eingenommen worden sein, bleibt aber umkämpft.

Mariupol war am Dienstag nach russischen Angaben gefallen, nach ukrainischen Angaben vollständig von russischen Truppen eingekesselt worden. Am Mittwoch waren in der 500.000 Menschen zählenden Stadt heftige Straßenkämpfe im Gange sowie schwerer Artilleriebeschuss. Strom und fließendes Wasser gab es nicht mehr.

Vizebürgermeister von Mariupol

„Hunderte Menschen sind tot. Wir können nicht hinein, um die Leichen zu bergen“

Mariupols Vizebürgermeister Sergiy Orlov sagte dem britischen BBC-Rundfunk am Telefon, ein Stadtteil mit 130.000 Einwohnern sei in fast 15 Stunden pausenloser Artillerieangriffe „fast total zerstört“ worden: „Wir glauben, dass mindestens Hunderte von Menschen tot sind. Wir können nicht hinein, um die Leichen zu bergen. Die russische Armee setzt alle ihre Waffen ein: Artillerie, Mehrfachraketenwerfersysteme, Flugzeuge, Raketen. Sie versuchen, die Stadt zu zerstören. Die ukrainische Armee ist sehr mutig und wird die Stadt weiter verteidigen, aber der Stil der russischen Armee ist wie der von Piraten. Sie kämpfen nicht mit ihrer Armee, sie zerstören einfach ganze Stadtviertel.“

Mit Mariupol würde die russische Armee die gesamte Küste zwischen der Krim und den russisch kontrollierten Separatistengebieten im Donbass erobert haben. Die Einnahme von Cherson weiter westlich würde wiederum den Weg Richtung Odessa freimachen. Es gab Berichte, wonach sich russische Kriegsschiffe im Schwarzen Meer in Richtung Odessa auf den Weg gemacht hätten. Eines soll Feuer gefangen haben; unklar ist, ob es beschossen wurde.

Dass die russische Armee diese Küstenbereiche erobert, heißt jedoch noch nicht, dass sie sie unter Kontrolle hat. In der Stadt Melitopol westlich von Mariupol dauern Massenproteste der Einwohner mit ukrainischen Flaggen gegen die russische Besatzung an.

Die Millionenstadt Charkiw stand am Mittwoch weiter unter schwerem Beschuss. Streumunition kam in der Nacht zum Einsatz, ganze Straßenzüge wurden zerstört, ebenso Teile der Universität. Ein Arzt wurde zitiert: „Wir leben in der Hölle. Die Russen zerstören alles: Wohnviertel, Kindergärten, Krankenhäuser, sogar eine Bluttransfusionsstation. Ohne die Unterstützung der ganzen Welt werden wir die Invasion nicht überstehen.“ Bürgermeister Ihor Terechow sagte: „Wir haben das niemals erwartet: totale Zerstörung, Vernichtung, Völkermord am ukrainischen Volk.“

Borodyanka zu großen Teilen zerstört

Der täglich erwartete Sturm auf Kiew hingegen blieb auch am siebten Tag des Krieges aus. Der in den Vortagen gesichtete gigantische russische Militärkonvoi nördlich der Stadt bewegte sich offenbar nicht. Es kam aber zu schweren Gefechten in mehreren Orten außerhalb sowie zu weiterem Beschuss der Stadt selbst. Die Stadt Borodyanka, 55 Kilometer nordwestlich von Kiew, wurde in Luftangriffen zu großen Teilen zerstört, meldeten lokale Medien.

Noch am Mittwoch sollten im benachbarten Belarus die russisch-ukrainischen Gespräche wiederaufgenommen werden, die am Montag begonnen hatten und zunächst ergebnislos vertagt worden waren. Eine russische Delegation sei zu dem geplanten Treffen aufgebrochen, wurde am Nachmittag gemeldet. Von ukrainischer Seite hieß es, man sei bereit zu reden, aber nicht bereit, russische Ultimaten hinzunehmen.

Der britische Premierminister Boris Johnson warf Russland „Kriegsverbrechen“ in der Ukraine vor. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erklärte, er habe mit seiner britischen Kollegin Liz Truss über neue Sanktionen gegen Russland gesprochen. Es gehe darum, alle Schlupflöcher zu schließen, damit Russland keine Chance habe, aktuelle und künftige Sanktionen zu umgehen.

Ukrainischen Bitten, eine Flugverbotszone über dem Land einzurichten, erteilten westliche Länder weiterhin eine Absage. Die Ukraine fordert auch „humanitäre Korridore“, um die Evakuierung von Zivilisten sowie die Versorgung belagerter Bevölkerungen zu ermöglichen.

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