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Krieg in NahostIsraels Armee weitet ihre Angriffe im Gazastreifen aus

Mit dem erneuten Einmarsch wächst die Zahl der Todesopfer. Flugblätter sorgen zudem für Unruhe. In Jerusalem geht die Polizei gegen Proteste vor.

Vertriebene Palästinenser einen Tag nach der erneuten israelischen Offensive im Gazastreifen, 19. März Foto: Jehad Alshrafi/AP/dpa

Jerusalem taz | Nach dem Ende der Waffenruhe geht Israels Offensive im Gazastreifen weiter voran: Israelische Bodentruppen sind nun bis ins Zentrum und den Norden des Küstenstreifens vorgerückt. Die zentrale Salah-ad-Din-Straße zwischen dem Norden und dem Süden des Gebietes sei im sogenannten Netzarim-Korridor gesperrt, teilte Armeesprecher Avichay Adraee am Donnerstag mit. Der Netzarim-Korridor trennte bis zur Waffenruhe Nord- von Südgaza, im Zuge des Geisel-Waffenstillstandsabkommens konnten die Menschen ihn unter Aufsicht von arabischen und US-Sicherheitskräften wieder passieren. Nun ist nur noch die an der Küste verlaufende Straße für die Passage von Nord nach Süd geöffnet.

Am Donnerstag wurde über Nordgaza ein Flugblatt mit einem Bild von Netanjahu und Trump abgeworfen: „An die ehrenhaften Menschen in Gaza“, steht darauf, wie diverse Medien berichteten und eine lokale Quelle der taz bestätigt. Bevor der „Gaza-Plan“ von US-Präsident Donald Trump umgesetzt werde, gebe man den Menschen in Gaza noch eine letzte Chance, mit Israel zu kooperieren: „Überdenkt eure Entscheidungen, denn die Karte der Welt wird sich nicht ändern, wenn alle Menschen Gazas verschwinden. Niemand wird mit euch fühlen und niemand wird nach euch fragen“, heißt es darin. Das IDF dementierte, dafür verantwortlich zu sein.

Seit der Nacht zu Dienstag ist die Waffenruhe, die immerhin zwei Monate hielt, hinfällig. Seitdem seien mehr als 700 Menschen gestorben, mehr als zwei Drittel Frauen und Kinder, berichtete der saudi-arabische TV-Sender al-Arabiya unter Berufung auf den Sprecher des Al-Aqsa-Märtyrer-Krankenhauses in Deir al-Balah. Die Angaben lassen sich nicht überprüfen. Gestern war zwischenzeitlich von über 970 Toten die Rede gewesen, aber diese Angabe wurde korrigiert.

Doch allein in der Nacht auf Donnerstag wurden nach Angaben des Hamas-geleiteten Zivilschutzes mehr als 70 Menschen getötet. Die Hamas bestätigte zudem den Tod mehrerer politischer Anführer. Laut UN-Angaben wurde außerdem ein bulgarischer Mitarbeiter in einem UN-Gebäude getötet. Die Hamas feuerte am Donnerstag erstmals seit letztem Oktober Raketen auf Tel Aviv, die abgefangen wurden oder in offenem Gelände einschlugen.

Israel schließt Verbleib der Hamas in Gaza aus

Verteidigungs­minister Katz droht Gaza mit Zerstörung und totaler Verwüstung

Mit Blick auf das Ziel der Offensive sprach Netanjahu erneut von einem „absoluten Sieg“ über die Hamas und der Rückkehr der Geiseln. Verteidigungsminister Israel Katz sandte am Mittwoch in einer Video­botschaft der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens eine „letzten Warnung“. Er drohte mit „Zerstörung und totaler Verwüstung“, wenn nicht alle Geiseln freigelassen und die Hamas aus dem Küstenstreifen vertrieben würde.

Derweil gingen am Donnerstag laut der Hamas Gespräche mit Vermittlern zur Rückkehr zur Waffenruhe weiter. Die Gruppe betonte, zu der Vereinbarung aus dem Januar zu stehen, nach der in zwei weiteren Phasen alle übrigen Geiseln im Gegenzug gegen einen Abzug Israels und ein Ende des Krieges freikommen sollten. Israel hat mehrfach ausgeschlossen, den Verbleib der Hamas in Gaza zu akzeptieren.

Die israelische Regierung hat derweil ganz andere Prioritäten: Noch am Donnerstagabend soll über die Entlassung von Ronen Bar, dem Chef des Inlandsgeheimdienstes, entschieden werden. Er gilt als Befürworter von Verhandlungen – und war deshalb zuletzt mehrfach mit Regierungschef Benjamin Netanjahu aneinandergeraten. Das Forum der Geiselfamilien kritisierte, dass dafür eine geplante Beratung über das Schicksal ihrer noch 59 in Gaza festgehaltenen Angehörigen verschoben worden sei: „Die Familien haben zu Beginn der Woche ein dringendes Treffen mit dem Ministerpräsidenten und dem Kabinett gefordert“, hieß es in der Erklärung des Forums. „Kein Pieps und keine Antwort.“

Polizei geht gewaltsam gegen Proteste vor

Nach den Ankündigungen der Regierung, Ronen Bar und die Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara zu entlassen, protestierten am Dienstag und Mittwoch Tausende Menschen in Tel Aviv und Jerusalem. Zeitweise blockierten Demonstranten Zufahrtsstraßen zu Netanjahus Residenz in Jerusalem. Die Polizei löste gewaltsam eine kleinere Demonstration gegen die Wiederaufnahme des Gaza-Kriegs auf. Ein Video in Onlinemedien zeigt, wie ein Polizist dem Kriegsdienstverweigerer Max Kresch in die Leistengegend schlägt.

Israels Regierungschef Netanjahu ist auch durch Ermittlungen wegen Verbindungen enger Mitarbeiter zu Katar unter Druck. Am Mittwochabend nahm die israelische Polizei zwei Verdächtige in der „Katargate“-Affäre fest. Zuvor hatte der israelische öffentlich-rechtliche Sender KAN eine Aufnahme veröffentlicht, in der ein israelischer Geschäftsmann zugab, Geld von dem für Katar arbeitenden US-Lobbyisten Jay Footlik an Netanjahus Mitarbeiter Eli Feldstein übermittelt zu haben. Beide Festgenommenen werden der Zusammenarbeit mit einem „ausländischen Agenten“ sowie der Geldwäsche verdächtigt.

Zelte inmitten der Zerstörung durch die israelische Luft- und Bodenoffensive in Beit Lahiya, Gaza, am 20. März Foto: Mohammad Abu Samra/AP/dpa

Laut einem Bericht des israelischen TV-Senders Kanal 13 soll Feldstein zwischen April und Oktober 2024 nach einer negativen Sicherheitsüberprüfung nicht mehr von Netanjahus Büro bezahlt worden sein, sondern Geld von Katar erhalten haben. Er arbeitete demnach aber weiterhin für den Regierungschef. Im Oktober wurde Feldstein wegen der Weitergabe geheimer Armeeunterlagen an die Bild-Zeitung festgenommen. Die Unterlagen sollten positive Berichterstattung für Netanjahu erwirken, nachdem der Tod von sechs israelischen Geiseln in Hamas-Gefangenschaft Ende August zu Massenprotesten für ein Waffenruhe-Abkommen geführt hatte, so die Anklage.

Netanjahu selbst muss sich aktuell in mehreren Korruptionsfällen vor Gericht verantworten. Beim Onlinedienst X sprach er von einem Missbrauch des Justizsystems durch einen „linken tiefen Staat“ – eine Rhetorik, die auch US-Präsident Trump nutzt. Israels Präsident Itzchak Herzog hielt öffentlich dagegen: Israels „starkes und unabhängiges Justizsystem“ sei eine „Stütze unserer Demokratie“.

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6 Kommentare

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  • Der Trump-Faschismus erweitert sich: Israel, Türkei und Ungarn ziehen mit ihm mit, die Bildung wird vernichtet, Greenpeace soll 600.000.000 Dollar Strafe zahlen, Pläne für einen Panama-Überfall, strafloses Morden in der Ukraine, in Gaza und bald auch anderswo.

  • Gut, dass Isaac Herzog das Wort gegen diese Bodenoffensive, die Schleifung von Völkerrecht und Rechtsstaat durch Israel ergreift. - Wo ist eigentlich die BRD? Als Friedrich Merz, in seiner Rolle als Oppositionskanzler, Netanjahu zusicherte, dass der Haftbefehl des IStGh gegen ihn in Deutschland nicht vollstreckt werde - hätte sich einer solchen Stelle nicht Bundespräsident Steinmeier zu Wort melden können? Sind durch die BRD, nicht von einer einzelnen Partei, unterzeichnete Verträge nichts, woran eine überparteiliche Instanz hätte erinnern dürfen oder sogar müssen? Hätte Steinmeier vielleicht schon Worte in dieser Causa finden können, als sich die Anerkennung internationalen Rechts durch die Ampel-Regierung quälend in die Länge zog und von Ausflüchten geprägt war? Hat nicht die BRD auch und insbesondere sich selbst, parteiübergreifend, durch Mit-Formulierung und Unterzeichnung des Römischen Statuts zur Errichtung des IStGh (17. Juli 1998) nachhaltig ermahnt? In der Präambel heißt es, man sei dessen „eingedenk, dass in diesem Jahrhundert Millionen von Kindern, Frauen und Männern Opfer unvorstellbarer Gräueltaten geworden sind, die das Gewissen der Menschheit zutiefst erschüttern."

  • Immer wieder dieses schön geschriebene "Waffenruhe hinfällig".



    Nein, Israel hat sie beendet und zwar mit Ansage.



    Warum tut sich die taz so schwer das zu benennen? Fällt ja bei anderen Themen auch nicht so schwer..

  • So Israel kündigt den Völkermord mal wieder ganz offiziell an.



    Aber das Kind beim Namen zu nennen, ist natürlich Antisemitismus.



    Die Welt wird Deutschlands Mittäterschaft nicht vergessen.

  • "Am Donnerstag wurde über Nordgaza ein Flugblatt mit einem Bild von Netanjahu und Trump abgeworfen"- Ein ähnlicher Flyer wurde bereits vor einem Monat in Gaza abgeworfen: www.democracynow.o...placement_upon_you



    Soweit mit bekannt ist, hat Hamas keine Flugzeuge um Flyer abzuwerfen und ich bezweifle das die israelischen Armee es erlaubt Privatflugzeugen über dem Gazastreifen Flyer abzuwerfen. Da scheint mit das Dementi der israelischen Regierung doch eher fragwürdig.



    Und Israel Katz´ Drohung von „Zerstörung und totaler Verwüstung“- Was zeigt das Bild von Beit Lahiya hier im Text anderes? Was zeigen andere Bilder von Gaza anderes außer Zerstörung und Verwüstung? Man sieht doch kaum noch ein Haus das steht und die paar die stehen sind beschädigt. Es gibt genug Experten die sagen, dass der ganze Boden kontaminiert ist durch die Zerstörung des Sanitärsystems, Flutung der Tunnel, die freigesetzen Schwermetalle durch Bomben... die Trümmer sind mit Asbest kontaminiert, das Trinkwasser ist kontaminiert. Vermutlich noch ein haufen nicht explodierter Sprengkörper. Hilfslieferungen immer noch: Null

  • Solange die Hamas in militärischer Tradition der Nationalsozialisten sich weigert zu kapitulieren, gibt es wohl keine Alternative zur militärischen Gewalt.

    Die Verantwortung für jedes zivile Opfer liegt bei der Hamas.