Krieg in Nahost: Iran greift Israel mit Raketen an
Nach dem iranischen Angriff auf Israel gibt das israelische Militär vorerst Entwarnung. Die taz konnte mit Zivilisten aus Tel Aviv sprechen.
„Wir sind gerannt, so schnell wir konnten“, sagte die Anwohnerin Avigail Zadik am Telefon aus der Lobby eines Hostels unweit des Anschlagsortes, in dem sie sich am Dienstagabend mit einem Dutzend anderer in Sicherheit gebracht hat. „Wir waren eine Minute von dem Angriff entfernt“, sagt die 34-Jährige. „Von draußen hörten wir die Sirenen der Krankenwagen und von oben die Explosionen der abgefangenen Raketen, viel heftiger und lauter als ich es gewohnt bin.“ Kurz darauf gab die Armee Entwarnung, viele hätten sich aber noch für Stunden nicht wieder auf die Straße getraut, aus Angst vor weiteren Anschlägen oder Raketensalven.
Es war nach einem Beschuss mit rund 300 Drohnen und Raketen im April der zweite direkte iranische Angriff auf Israel in der Geschichte der Islamischen Republik. Den Befehl soll der oberste iranische Führer Ajatollah Ali Chamenei gegeben haben, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf einen hochrangigen iranischen Vertreter. Teheran sei „bereit für jeden Gegenschlag“. Dass der kommen wird, ist äußerst wahrscheinlich. Noch am Abend sagte Israels Armeesprecher Daniel Hagari im Fernsehen, der Angriff werde „Konsequenzen haben“. Auch ein US-Vertreter hatte der iranischen Führung noch Stunden vor dem Angriff mit schwerwiegenden Folgen gedroht.
Das Ausmaß der Schäden durch die 180 Raketen in Israel war zunächst unklar. Im israelisch besetzten Westjordanland soll ein Mensch getötet, in Tel Aviv zwei verletzt worden sein. Laut IDF-Sprecher Hagari hatten israelische und US-Abwehrsysteme „effektiv“ zusammengearbeitet. Auch die jordanische Armee soll laut dem US-Sender CNN Raketen abgefangen haben. US-Sicherheitsberater Jake Sulivan bezeichnete den Angriff am Abend als „vereitelt und unwirksam“. Online kursierten aber auch Videoaufnahmen, die offenbar einzelne direkte Einschläge von Raketen in Israel zeigen.
Angriff auf Israel als Vergeltungsschlag
Die Iranischen Revolutionsgarden bezeichneten den Angriff als eine Vergeltung für die Tötung von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah vergangenen Freitag in Beirut sowie von Hamas-Anführer Ismail Haniyyeh im Juli in Teheran. Seit vergangener Woche hatten israelische Luftangriffe im Libanon sowie die mutmaßlich von Israel ausgelöste Explosion hunderter Pager und Funkgeräte einen Großteil der Führung der Iran-treuen Hisbollah getötet. Zudem hatten israelische Streitkräfte am Dienstag erstmals seit fast zwei Jahrzehnten eine Bodenoffensive im Süden des Libanon begonnen. Die Armee sprach von „begrenzten“ Angriffen gegen Hisbollah-Stellungen in der Nähe der Grenze.
Israel rechtfertigt sein Vorgehen vor allem mit der Rückkehr von mehr als 60.000 seit Beginn des Krieges vor einem Jahr vertriebenen Bewohnern des Grenzgebietes zum Libanon. Seit dem Hamas-Überfall am 7. Oktober beschießen sich die Hisbollah und die israelische Armee entlang der Grenze gegenseitig. Auf libanesischer Seite sind laut UN-Angaben mehr als 210.000 Menschen vertreiben, 120.000 flohen alleine in der vergangenen Woche.
Der Krieg in Nahost erreicht damit kurz vor dem Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel am 7. Oktober eine neue Stufe. Israel hat in der vergangenen Woche bewiesen, dass es der Hisbollah als Irans stärkstem Vertreter in der Region militärisch und geheimdienstlich haushoch überlegen ist. Das ist für Teheran bedrohlich, auch weil die Schiiten-Miliz im Libanon stets als wichtigste Rückversicherung gegen Angriffe auf das iranische Atomprogramm gesehen wurden. Der Raketenangriff am Dienstag mag ein Versucht gewesen sein, verlorene Abschreckung wiederherzustellen, riskiert jedoch eine weitere Ausweitung des Krieges auf die Region. In einer Videobotschaft hatte sich Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu bereits am Montag an die Menschen im Iran gewandt: Deren Land werde „früher als man denkt frei sein“. Was er damit meinte, ließ er offen.
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