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Korruption in der UkraineEine zweite Front eröffnet

Kommentar von Barbara Oertel

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj stellt das Antikorruptionsbüro kalt. Das erzeugt Zorn in der Bevölkerung – und in der EU.

Menschen demonstrieren in Kyjiw gegen den Erlass des Präsendeten Foto: Sebastian Wells

A ls ob eine Kriegsfront, an der es für die Ukraine eher mäßig läuft, nicht schon ausreichen würde. Jetzt eröffnet Präsident Wolodymyr Selenskyj auch noch eine zweite. Im Handstreich lässt er das Nationale Antikorruptionsbüro Nabu und die Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft (SAP) kalt- und de facto der Generalstaatsanwalt unterstellen. Den ernennt Selenskyj.

Geht’s noch? Unabhängige Ermitt­ler*in­nen, die diese Bezeichnung verdienen, dürfen jedoch nicht unter der politischen Kontrolle derer stehen, gegen die sie im Zweifelsfall vorgehen müssen. Alles andere wäre eine Farce. Über Selenskyjs Motive für diese Entscheidung, die ein fatales Signal nach innen und außen sendet, lässt sich nur mutmaßen. Jedoch gibt es den begründeten Verdacht, dass auch Personen aus dem engeren Umfeld des Präsidenten geschützt und aus der Schusslinie genommen werden sollen. Ohnehin nimmt es Selenskyj mit dem Prinzip guter Regierungsführung nicht ganz so genau. Das gilt insbesondere für die Besetzung von Schlüsselposten, wo unbedingte Loyalität und alte Seilschaften vielfach mehr zählen als Kompetenz.

Diese Entwicklungen beobachten viele Ukrai­ne­r*in­nen mit Unbehagen. Zu Recht. Doch anstatt weiter ohne Wenn und Aber hinter Selenskyj zu stehen, regt sich Widerstand. Kriegsmüdigkeit? Von wegen. Vielmehr zeigt sich eine Zivilgesellschaft, die quicklebendig ist und sich nicht scheut, das mit Protesten zum Ausdruck zu bringen. Dabei geht es weniger um die Abwicklung zweier Behörden als um die Verteidigung demokratischer Werte und die Entschlossenheit, sich eine europäische Perspektive kein weiteres Mal nehmen zu lassen. So war das bei der Revolution 2013/14 auf dem ­Maidan. Was mit dem damaligen durch und durch korrupten Präsidenten Wiktor Janukowitsch passierte, ist bekannt. Er musste nach Russland fliehen. Sollen all die Opfer – damals wie heute – umsonst gewesen sein?

Doch für Selenskyj steht weitaus mehr auf dem Spiel, als dass ihm immer mehr Ukrai­ne­r*in­nen den Rücken kehren könnten. Kyjiw droht die so dringend benötigte Unterstützung seiner westlichen Verbündeten einzubüßen – in Zeiten, in denen die Koalition der Willigen bröckelt. So könnte der EU-Beitrittsprozess der Ukraine empfindlich gestört werden. Entsprechende Reaktionen in Brüssel sind ernst zu nehmen. Auch dürfte die Geberlaune von Staaten und privaten Investoren in Sachen Wiederbau leiden. Immerhin gelten hierfür die sieben Prinzipien der Wiederaufbaukonferenz in Lugano im Juli 2022, zu denen Justizreformen und eine effektive Korruptionsbekämpfung gehören. Hat Selenskyj das vergessen?

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Vielleicht besinnt sich der Präsident doch noch eines Besseren. Falls nicht, könnte sein jüngstes Manöver das Ende einläuten – nicht das der Ukraine, aber Selenskyjs politisches Ende.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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19 Kommentare

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  • Ich hatte soeben eine Vision:



    Ein sauberer Krieg - frei von Korruption.



    Das ist Illusion, das ist mir bewusst.



    Oder ist es nur „Realitätsverlust"?

  • Das Problem ist nur: Unabhängigkeit vom Staat geht heißt meist*, dass andere Akteure die Geldflüsse gestalten. Und in dieser Art der Subversion ist Russland nunmal Meister. Sonst wären sie nicht so erpicht darauf, dass das bei ihnen niemand machen kann.



    Immerhin hat Selensky wohl schon ein neues Gesetz angekündigt, um dem Flurschaden zu begegnen.

    *EInzige Ausnahme davon die mir einfällt ist der deutsche ÖRR. Da gibt es allerdings Probleme bei der Besetzung der Lenkungsgremien…

  • Das Problem ist wohl, wie z.B. Vassili Golod von der ARD festgestellt hat, dass einige Ermittler Selenskis Umfeld zu nahe kommen. Auch wenn das nicht in das Weltbild von vielen bei uns passt sollten wir die ukrainische Zivilgesellschaft unterstützen und nicht Selenski. Einige Verteidigoungsversuche von Selenskifanboys sind schon sehr eigenartig.

    • @Alexander Schulz:

      Na das ist ja wohl nur die halbe Wahrheit denn durch die russische Einflussnahme ist die Gefahr doch wohl mehr als gegeben dass dann der Kreml die Untersuchungen manipuliert . Also bitte bei der ganzen Wahrheit bleiben.😊

      • @Andreas Rostin:

        Sie suggerieren, dass Ermittler die von Russland gekauft sind im Amt bleiben dürften. Dem war bisher aber nicht so!

    • @Alexander Schulz:

      Nu hat Selenski auf die Zivilgesellschaft gehört und das Gesetz zurückgezogen, was wird nun aus Ihrem ewigen Gestänker, sobald es um Missstände in der US geht? Und warum finden sich nie Kommentare von Ihnen unter den zahllosen Artikeln, die von russischen Kriegs- u.a. Verbrechen berichten oder dem regelmäßig demonstrativ durch verschärftes Bombardement zur Schau gestellten Desinteresse Moskaus an irgendwelchen Verhandlungslösungen?

      • @dites-mois:

        UA sollte es heißen

      • @dites-mois:

        Wie Sie sehen kann "Gestänker" durchaus positive Folgen haben.



        Warum ist es Ihnen so wichtig die Korruption in der Ukraine schön zu reden?



        Es geht hier übrigens gerade weder um die USA oder Russland. Aber selbstverständlich verurteile ich die Korruption in Russland genauso wie in der Ukraine oder auch in anderen Ländern.



        In Russland ist sie übrigens nochmal etwas schlimmer als in der Ukraine. Und ja ich verurteile natürlich auch wiederholt die russischen Kriegsverbrechen. Aber erklären Sie mir doch bitte was das mit der Korruption in der Ukraine zu tun hat?

        • @Alexander Schulz:

          Klar, Ihr Gestänker hat Selenski zum Umdenken gebracht, der ist gut. Stänkern Sie dann bitte auch mal ein bisschen gegen die grauenhaften Verhältnisse in Russland, vielleicht bewirken Sie ja Wunder ...



          Übrigens sind Leute, die eine konsequente militärische Unterstützung der Ukraine fordern, keine "Selenskiboys", wie Sie zu behaupten belieben, keine "Fans" der Regierung und sicherlich nicht von korrupten Verhältnissen, sondern befinden sich in Einklang mit der ukrainischen Zivilgesellschaft, die gerade erfolgreich protestiert hat, als viel größeres Problem aber die russische Aggression tägliche Morddrohung hat.

          • @dites-mois:

            Sie tun so als wenn es ein Widerspruch ist die Ukraine zu unterstützen und sich gegen Korruption zu wenden. Effektiv wäre es die Hilfen an Korruptionsbekämpfung zu kämpfen. Das wäre vielleicht nicht gut für Selenski, aber für die Ukraine.

        • @Alexander Schulz:

          Nur in einer freien von Russlands Einflussbefreiten Ukraine gibt es eine Chnace das das Problem Koreuption dauerhaft in den Griff bekommen wird. Niemand verteidigt Korruption aber wenn sie wollen das das Problem gelöst wird muss die Ukraine militärisch massiv unterstützt werden damit sie für das Hyper korrupte Russland dauerhaft verloren ist. Nur dann kann die Zivilgesellschaft so stark sein wie jetzt und Änderung erzwingen.

          • @Machiavelli:

            Um Korruption wirklich nachhaltig zu bekämpfen müsste man die Hilfen daran koppeln.

          • @Machiavelli:

            Industie-,Wirtschafts-, und Kapitaleliten werden nie damit aufhören Regierungen zu korrupieren. Korruption gehört zum täglichen Geschäft der Mächtigen. Regierende sind immer nur die Ausführenden im Interesse der Mächtigen. Wobei man " die Mächtigen " nicht nur verpersonalisieren sollte/ darf, es sind die entstanden/ ineinander/ miteinander verbunden Machtstruckturen von Industrie/ Wirtschaft / Kapital. Aufsichtsräte, Vorstandsvorsitzende, Anleger, Inhaber, Beteiligungsgesellschaften, die immer in Verantwortung für andere Interessen stehen müssen.

  • Selenskyi sollte seine persönliche Wichtigkeit im politischen Prozess nicht überschätzen. Das sollten ihm die demokratischen Partner vielleicht nochmal deutlich vor Augen führen.

    • @vieldenker:

      Bisher haben die Partner doch Selenski kaum Grenzen gesetzt. Warum soll er sich also anders verhalten?

  • Nobody is perfect.



    Hoffentlich bleibt er lernfähig!

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Naja, er war ja selbst in dubiose Offshore-Geschäfte in



      Millionenhöhe verwickelt, was durch die Pandora-Papers aufflog.

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Nobody is perfect? Hier wird doch ganz stark der Eindruck erweckt also ob Selenski Korruption in den höchsten Stellen decken will. Vermutlich geht um die von der EU überwiesenen Gelder, die ja anscheinend von der EU nicht mehr kontrolliert werden sobald sie die Grenze zur UA passiert haben. Und Transparenz gibts da auch nicht, das scheint die EU nicht zu interessieren bzw die wollen es wohl garnicht wissen weil wenn sie es wüssten, die Gelder nicht mehr überwiesen werden dürften. Das ist absolut kein Kavaliersdelikt wir Ihr Kommentar impliziert. Selenski will seine Kumpels und möglicherweise auch sich selbst decken. Nun gut, in jedem Krieg gibt es Kriegsgewinnler und da dürfte die UA-Führungsschicht wohl gut dabei sein.

      • @Gerald Müller:

        Wichtiger als das Nobody is perfect war mir:



        "Hoffentlich bleibt er lernfähig!"