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Korpsgeist bei der PolizeiWarum die Krähen sich die Augen nicht gegenseitig aushacken

Loyalität, Hierarchie, Strafe. Eine neue Studie zeigt, warum Po­li­zis­t:in­nen ihre Kol­le­g:in­nen bei Fehlverhalten so selten melden.

Dass Po­li­zis­t:in­nen Fehlverhalten von Po­li­zis­t:in­nen melden, ist noch immer selten Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Die Polizei steht unter Druck. In den letzten Jahren sind immer häufiger Fälle rassistischer und menschenfeindlicher Äußerungen öffentlich geworden. Manche dieser Fälle flogen nur durch Hinweise von Polizeikol­le­g:in­nen auf – wie zum Beispiel rechtsextreme Inhalte in internen Chatgruppen.

Eine Studie der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat nun erstmals wissenschaftlich untersucht, vor welchen Herausforderungen Whist­leb­lo­wer:­in­nen innerhalb der Polizei stehen und welches Fehlverhalten am häufigsten angezeigt wird. Dafür wurden ausführliche Leitfadeninterviews mit 19 anonymisierten Be­am­t:in­nen aus Berlin und Schleswig-Holstein geführt.

Dass Po­li­zis­t:in­nen Fehlverhalten von Po­li­zis­t:in­nen melden, ist noch immer selten. 2023 trat das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft, das hinweisgebenden Personen – Whist­leb­lo­wer:­in­nen ­– einen geschützten Weg bieten soll, um Verstöße zu melden.

Das Gesetz verpflichtet Unternehmen und Behörden, einschließlich der Polizei, sowohl interne als auch externe Meldestellen einzurichten. Doch vor allem polizeiinterne Meldestellen stehen öffentlich noch immer in der Kritik. Das Vertrauen, dass Po­li­zis­t:in­nen ernsthaft gegen sich selbst ermitteln, scheint gering.

Meldung machen gleich „Verrat“

Die Vorwürfe gegenüber Po­li­zis­t:in­nen sind umfangreich. Die Befragten berichteten von sexistischen und rassistischen Äußerungen sowie sexueller Belästigung – sowohl von Bür­ge­r:in­nen als auch Kol­le­g:in­nen. Weitere Meldungen gab es über Machtmissbrauch und körperliche Bestrafungen innerhalb von Einheiten, Volksverhetzung und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung bei Demonstrationen oder Personenkontrollen.

Eine Polizei, die Fehlverhalten konsequent aufarbeitet, sei essenziell für eine funktionierende Demokratie und den Schutz der Grundrechte, sagt Laura Kuttler, Juristin und Projektkoordinatorin bei der GFF. Gäbe es diese Fehlerkultur nicht, „wird die Polizei zur Gefahr für eben die Grundrechte, die sie schützen sollte.“

Laut Studie melden Po­li­zis­t:in­nen Verstöße nur selten, weil sie die Unabhängigkeit der Meldestellen für unzureichend halten.

Dazu komme auch die Angst vor sozialer Ausgrenzung durch Kolleg:innen: „Es gibt auch immer noch Führungskräfte, die das auch deutlich so sagen. ‚Wer sich an so eine Ansprechstelle wendet, ist für mich ein Verräter‘“, berichtet ein:e befragte Polizist:in. Eine solche Stigmatisierung durch den bestehenden Korpsgeist sei eines der Haupthemmnisse, Verstöße anzuzeigen.

Große Wissenslücken bei der Polizei

Auch würden viele Po­li­zis­t:in­nen durch die Angst vor einer schlechten Beurteilung durch Vorgesetzte gehemmt, sich zu äußern. Diese reagierten, so Befragte, oft mit einer „besonderen Härte“ auf bekannt gewordene Missstände, um negative öffentliche Aufmerksamkeit zu vermeiden.

Oft, so die GFF-Studie, wünschen sich Whist­leb­lo­wer:­in­nen eine Verhaltensänderung der Kolleg:innen, nicht jedoch eine Strafe. Das Anzeigen von Kol­le­g:in­nen falle ihnen wegen eines stark ausgeprägtes Denkens in den Kategorien Tä­te­r:in­nen und Opfer jedoch schwer.

Neben mangelndem Vertrauen gegenüber Meldestellen seien viele Po­li­zis­t:in­nen auch schlichtweg nicht über ihre Möglichkeiten informiert, Missstände anzuzeigen. In manchen Fällen seien die Stellen oder Ansprechpersonen den Be­am­t:in­nen einfach nicht bekannt.

Die strenge hierarchische Organisation der Polizei stehe einer funktionierenden Fehlerkultur im Weg, so die Schlussfolgerung der Studie. Die Behörde müsse daher demokratisiert werden. Die bestehenden Meldestrukturen seien noch unzureichend. Fehlverhalten öffentlich zu machen, sei aber ein erster notwendiger Schritt für Veränderung.

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9 Kommentare

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  • Welche "eine Studie" ist es den? Alle links führen nur zu TAZ Artikeln.

    "Dafür wurden ausführliche Leitfadeninterviews mit 19 anonymisierten Be­am­t:in­nen aus Berlin und Schleswig-Holstein geführt." von über 100.000 Polizisten. Wie wurden diese ausgewählt. Konnten sich die 19 melden? Wurde aus allen Polizisten einfach zufällig 19 ausgewählt?



    Das es Probleme bei der Polizei gibt ist nicht bestreitbar. Wie überall wo tausende von Menschen arbeiten.



    9 der Befragten sind aus den Meldesstellen. Schon mal gut, dass die was wissen.

    Wer mehr Interesse hat hier der Link.

    content:media/external/downloads/1000010433

  • ... Es gab damals (wie es heute ist, muss ich raten) nur zwei Möglichkeiten, z..B. bei Straftaten im Dienst: entweder hielt man die Schnauze und machte sich damit ebenfalls strafbar - oder man sagte etwas - und das war dann "EDEKA": Ende Der Karriere. Oft einhergehend mit Versetzungen in sehr unbeliebte Dienstbereiche.



    Es wird allerhöchste Zeit für neutrale Stellen, die konkreten Beschwerden und Meldungen nachgehen (müssen).



    MfG: B.Liebig

  • Da ist doch zu allererst zu klären welche Menschen Polizist werden wollen - gibt es da eine Schieflage zur allgemeinen Bevölkerung.



    Ferner, Polizisten werden doch, so ist mein Eindruck als Außenstehender, regelmäßig verheizt/mißbraucht, idR. zu Zeiten wo normale Bürger ihre sogenannte Freizeit genießen, um die Interessen von abgehobenen Poltikern zu schützen wenn es dagegen Proteste gibt oder bei Veranstaltungen von Fußball-Millionären usw..



    Wer hat schon mal den privaten und dienstlichen "Alltag" von Bereitschaftspolizisten untersucht die regelmäßig an zB. Wochenden durch die Republik transportiert werden.



    Übrigens, im Berufsleben in Behörden und Wirtschaft etc., ist es auch nicht unüblich wenn ein Kollege Mißstände anprangert, er von seinen Kollegen mißtrauisch beäugt bzw. "geschitten" wird.



    Bei Polizisten allerdings gehören besondere Maßstäbe angelegt, verfügen sie doch im Dienst über das Gewaltmonopol des Staates einschl. tödlicher Waffen.



    Eine humane Lösung ist aktuell unmöglich vor dem sozialen Zustand der Massen-Gesellschaft und der "führenden" Medien.



    "es ist zum Mäuse melken" kann man da nur sagen.

    • @Bert Berg:

      Das ist keine Entschuldigung für Rechtsextremismus und Rassismus in der Polizei, und schon gar keine für den absoluten Unwillen, diese Missstände aufzuarbeiten. Es fängt schon damit an, dass es immer noch keine unabhängige Behörde gibt, die polizeiliches Fehlverhalten untersucht.

  • Tja,



    in diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die BRD wegen des Hinweisgeberschutzgesetzes zu einer Strafe verurteilt wurde:

    www.tagesschau.de/...er-schutz-100.html

    Und das ist IMHO ein ganz ganz klares Zeichen dafür wie die Politik das Thema sieht.

    Und die EU rügt schon seit Jahren die BRD dafür, dass es keine unabhängige Behörde gibt die Polizeikriminalität aufklärt.



    Die Rügen bleiben natürlich ohne jede Wirkung.

    Und das angesichts der Vergangenheit der Polizeiapparate hüben und drüben des "Antifaschistischen Schutzwalls"

  • Alles allzu menschlich. Sobald man sich im Kampf gegen einen definierten Feind wähnt, gilt jede kleine Abweichung als Verrat.

    In meinem alten Studentenviertel klebten überall Sprüche der Marke "Sprich nicht mit Bullen", es gab sogar mal die Aufforderung generell, also auch bei alltäglichen/unpolitischen Delikten, keine Polizei zu rufen und Streitigkeiten ausschließlich viertelintern ("solidarisch") zu klären, inkl. Androhung von Sanktionen bei Zuwiderhandlungen...

    Aber "Korpsgeist" ist natürlich exklusiv für Sicherheitsbehörden...Klingt ja auch so schön nach Kaiserreich.

  • "Dazu komme auch die Angst vor sozialer Ausgrenzung durch Kolleg:innen: „Es gibt auch immer noch Führungskräfte, die das auch deutlich so sagen."



    Das sind "Führungskräfte", die niemals in diese Position hätten kommen dürfen. Da liegt der Fehler schon weit vorher. Das ist übrigens auch in normalen Firmen ein Problem. Führungskraft ist kein Lehrberuf, sage ich immer. Es ist eher ein seltener Zufall, dass jemand "Chef" wird, der auch die Fähigkeiten dafür hat.

  • Man kann sich dazu auch gerne die Bücher von Harald Welzer ansehen, die sich mit dem Thema Verhalten im Nationalsozialismus beschäftigen. Ich denke an das berühmte Beispiel der Polizeibrigade, die Säuberungen durchführen sollte.



    Warum ist eigentlich Sozialpsychologie nicht das zweite Hauptfach in der Schule - neben Medienkompetenz?