Türkei-Blockade bei Nato-Norderweiterung: Bittere Aussichten
Die Türkei weiß um ihre Bedeutung in der Nato und stellt Bedingungen für die Aufnahme von Schweden und Finnland. Man wird ihr entgegenkommen müssen.
D ie Kritik der Türkei zielt ins Leere, trotzdem wird sie verfangen. US-Präsident Joe Biden zeigte sich vor dem Besuch der schwedischen Ministerpräsidentin und des finnischen Präsidenten am Donnerstag in Washington optimistisch, dass Ankara seine Blockade der Nato-Norderweiterung überdenkt. „Ich denke, wir werden es schaffen“, sagte er zu den Beitrittsplänen.
Dem Vorwurf Ankaras, Schweden und Finnland unterstützten die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), ließe sich leicht begegnen: Die Türkei lieferte ihrerseits Waffen an radikale Islamisten in Syrien, wie Recherchen der türkischen Cumhuriyet im Mai 2015 belegten. Sollte es der Türkei tatsächlich um staatlich unterstützten Terror gehen (mal ganz abgesehen davon, ob die stark zersplitterte PKK aus Europa überhaupt noch etwas ausrichten kann), sollte sie erst mal in ihren eigenen Geheimdienstbehörden aufräumen.
Auch sonst demonstriert die Türkei eindrucksvoll ihre Bereitwilligkeit, die Arbeit der Nato und anderer Bündnisse zu konterkarieren: mit Angriffen gegen die kurdischen Bodentruppen, die maßgeblich zum Sieg über den IS beitrugen, oder mit dem Kauf russischer Raketenabwehrsysteme 2019. All das hatte keine großen Folgen für die Rolle der Türkei in Europa und innerhalb der Nato.
Die Türkei stellt nach den USA die größte Streitmacht in dem Militärbündnis. Ihre strategische Bedeutung als Mitglied der westlichen Allianz in der Region weiß sie gut auszuspielen. Auch wenn das Gebaren des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan für Entrüstung in dem Bündnis sorgt: Ankara zu verprellen kommt für die Nato nicht infrage.
Nato-Mitglied trotz Militärputsch
Die Geschichte der Allianz ist nicht diejenige demokratischer Rechtsstaaten, das weiß auch die Türkei. Schließlich blieb sie während des Militärputschs von 1980, nach dem unzählige Oppositionelle brutal verfolgt und hingerichtet wurden, weiterhin Teil des Bündnisses.
Dass die Türkei nun die Auslieferung oppositioneller Kurden fordert, die seinerzeit auch nach Schweden geflohen sind, ist vor diesem Hintergrund geradezu bezeichnend. Die Nato sollte sich dieser Geschichte bewusst werden, wenn die Türkei den Preis für den Beitritt Schwedens und Finnlands hochtreibt.
Es bleibt dennoch eine bittere Aussicht: Die Nato ist von der Türkei abhängig, nicht nur weil Ankara mit seinem Einspruch die Norderweiterung blockiert. Stockholm und Helsinki suchen den Schutz der Allianz, das Bündnis wird deshalb auf die Forderungen der Türkei ganz oder teilweise eingehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren