piwik no script img

Regierungskrise in ÖsterreichAuf der anderen Seite der Brandmauer

Florian Bayer
Kommentar von Florian Bayer

Österreichs Parteien kennen weder eine Brandmauer, noch haben sie aus dem Erfolg der rechtsradikalen FPÖ gelernt. Sie sind unfähig zur Selbstkritik.

Karl Nehammer (ÖVP) gibt den Abbruch der Koalitionsverhandlungen bekannt und löst damit die Regierungskrise aus Foto: APA/dpa

D ie rechtsradikale Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) blickt auf ihr erfolgreichstes Jahr überhaupt zurück: gewonnene EU-Wahl, der erste FPÖ-Landeshauptmann seit Jahrzehnten, vor allem aber der Sieg bei der Nationalratswahl. 28,9 Prozent wählten die „Freiheitlichen“, die Österreich zum illiberalen Staat nach ungarischem Vorbild umbauen wollen.

Wie mit der extremen Rechten umgehen? Diese Frage stellt sich in Österreich nicht zum ersten Mal. Anders als in Deutschland gibt es keine Brandmauer nach rechts außen. Es gab sie auch nie, jedenfalls nicht explizit. Lange spielte die 1956 gegründete FPÖ keine Rolle, denn ÖVP und SPÖ teilten sich die Republik untereinander auf.

Mitte der 1980er Jahre begann der FPÖ-Erfolgslauf unter Jörg Haider, der vor allem auf Ausländerfeindlichkeit setzte. Seitdem hat die Partei zweimal auf Bundesebene mitregiert. Sie schafft es immer wieder, fast alle Proteststimmen auf sich zu ziehen. Trotz ihrer vielen Skandale.

Auch diesmal. Die anderen Parteien haben unterschätzt, wie groß der Unmut über die übersteuerte und populistische Coronapolitik war. Vor allem die beschlossene, am Ende nie umgesetzte Impfpflicht trieb die Wähler in Scharen zur FPÖ. Ihre erratische Politik hat die schwarz-grüne Regierung nie vollständig aufgearbeitet.

Ernte für die FPÖ

Ebenso wenig hat die ÖVP einen klaren Schnitt gemacht, als etwa die Skandale rund um von der Regierung bezahlte Inserate unter Sebastian Kurz aufkamen. Viel Vertrauen in Medien und Politik wurde verspielt. Die FPÖ holt die Enttäuschten ab, setzt auf Alternativmedien, wettert gegen das „System“.

Auch haben fast alle anderen Parteien unterschätzt, wie wichtig die Sozialpolitik ist. In Zeiten von Rekordinflation, steigender Arbeitslosigkeit und Armutsgefährdung ein grobes Versäumnis. Da halfen weder der Populismus eines Andreas ­Babler noch die ÖVP, die Unternehmen in der Coronazeit bewusst überförderte, sich aber gegen eine Anhebung des Arbeitslosengelds stellte.

Die geplante Dreierkoalition zusammen mit den Neos ist nun fulminant gescheitert, weil ÖVP und SPÖ nicht über ihren Schatten springen konnten. Schon rechnerisch gibt es dazu keine Alternative ohne FPÖ. Sollten sich die Parteien nicht in Neuwahlen flüchten – und selbst dann –, ist eine FPÖ-geführte Regierung wohl unvermeidlich. In der ÖVP gibt es längst laute Fürsprecher dieser Variante.

Nun rächt sich, dass SPÖ und ÖVP nicht die Zeichen der Zeit erkannten. Österreichs Politik bräuchte Selbstkritik, Transparenz, überfällige Reformen. Stattdessen ging es viel zu lang um Machtpolitik und die Absicherung eigener Pfründen. Die Ernte fährt die FPÖ ein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Florian Bayer
Korrespondent Wien
Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • "... denn alle sitzen im selben Boot." Meinen Sie mit dem Boot den demokratisch verfassten Staat? Und haben Sie vielleicht schon einmal davon gehört, dass es Parteien gibt, die genau gegen diese Verfassung angetreten sind?



    Ihr fabel-haftes* Bild vom selben Boot, in dem alle sitzen, würde vielleicht ganz gut für ein Boot mit Flüchtlingen passen, taugt aber nicht für ein demokratisches Gemeinwesen. Sie können doch Tag für Tag erleben, wie Verfassungsfeinde versuchen, dieses Boot zum Kentern zu bringen - durch Lug und Trug (als wären wir anderen allesamt unfähig, das Boot zu steuern), durch falsch gesetzte Segel (Stichwort Remigration), durch Ansteuern falscher Freunde (auf Kuschelkurs mit Piraten wie Putin), usw.



    Das Bild vom Boot, in dem alle sitzen, ist von daher trügerisch, gehört ins Reich der *Fabel und macht uns eher blind und untauglich dafür, die gegenwärtigen Krisen zu bewältigen.

  • Die gute alte Zeit

    Nach der Nationalratswahl am 3. Oktober 1999 einigten sich nach mehrmonatigen Verhandlungen Anfang 2000 Jörg Haider (FPÖ) und Wolfgang Schüssel (ÖVP) auf die Bildung einer FPÖ/ÖVP-Koalitionsregierung (schwarz-blaue Koalition), die Bundesregierung Schüssel I.

    ---

    „Die Regierungen der 14 Mitgliedsstaaten werden keinerlei offizielle bilaterale Kontakte auf politischer Ebene mit einer österreichischen Regierung unter Einbindung der FPÖ betreiben oder akzeptieren. Es wird keine Unterstützung für österreichische Kandidaten geben, die Positionen in internationalen Organisationen anstreben. Österreichische Botschafter werden in den EU-Hauptstädten nur noch auf technischer Ebene empfangen.“

    Die Maßnahmen waren somit auf die Reduktion der bilateralen Beziehungen auf Regierungs- und diplomatischer Ebene beschränkt. Den vierzehn Regierungen von EU-Mitgliedsländern schlossen sich dann auch Tschechien, Kanada, Israel und Norwegen an.

    --- Den vierzehn Regierungen von EU-Mitgliedsländern schlossen sich dann auch Tschechien, Kanada, Israel und Norwegen an.

    de.wikipedia.org/w...en_%C3%96sterreich

  • Das Problem ist doch, diese "mit denen kann man nicht reden" Einstellung. Damit ist man nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.



    Man muss doch versuchen mit jedem irgendwie klarzukommen, denn alle sitzen im selben Boot. Und wenn ich das physisch oder psychisch nicht kann, dann sollte ich mich politisch einfach nicht betätigen.



    Was, wenn die extreme Linke und Rechte jeweils 33 % stellen und die Mitte dann auch sagt, "Mit denen kann man ja nicht reden!"



    Sucht die Gemeinsamkeiten und nicht die Unterschiede und geht dann die Probleme an - bitte.

  • Solange man rechtsradikale Politik in einer Partei verortet, hat man eh nix begriffen. Kein Politiker und keine Politik der Welt ist an Parteien gebunden. Solange Parteien finanziert werden, werden wir rechtsnationale Politik haben. Die Politik würde ohne Fidesz, FPÖ, AfD,Chega, etc. keinbisschen linker und demokratischer. DA sorgt schon Brüssel mit der EVP dafür.

  • Ist denn schon bekannt, welche Firmen aus Österreich jetzt abwandern werden?

  • Eine sehr treffende Beschreibung.



    Und wenn man alle österreichspezifischen Begriffe durch deutsche ersetzt passt es im großen und ganzen noch immer.

    Und wir können gut daran erkennen was uns hier blühen kann.

  • "... die Österreich zum illiberalen Staat nach ungarischem Vorbild umbauen wollen."

    Und was will diese Partei sonst noch? Dafür wurden sie meiner Einschätzung nach kaum gewählt.

  • Spätestens in vier Jahren wird man in Deutschland erkennen, dass eine "Brandmauer" Politik nicht ersetzt.

  • FPÖ: 28,85 %



    ÖVP: 26,27 %



    SPÖ: 21,14 %



    NEOS: 9,14 %



    Grüne: 8,24 %

    FPÖ und ÖVP haben zusammen 55% der Stimmen. Ich würde mal sagen, hier zeigt sich ein eindeutiger "Wählerwille". Eine "stabile und entscheidungsfähige Regierung" ist doch im "Interesse des Landes". Solche Floskeln werden doch zumindest in Deutschland als Argumente benutzt, um die Ergebnisse von Koalitionsverhandlungen dem Wahlvolk zu verkaufen. Wird bei unseren südlichen Nachbarn auch nicht anders sein. Oder gilt nun : Was geht mich mein dummes Geschwätz von gestern an?



    PS:



    Braunau liegt in Österreich.

  • Es scheint mittlerweile schon fast medialer Konsens zu sein, dass Themen wie Vermögens- und Erbschaftssteuer (im Programm der SPÖ) ziemlich einfach als Populismus abgewatscht werden, und damit hat sich das Thema wohl bereits für die Meisten erledigt. Populismus ist in meinen Augen schon eher „Ausländer raus, und dann gehts allen wieder gut“…



    Gehen wirklich so viele Leute/Wähler davon aus, sie wären von den beiden oben genannten Steuern selbst betroffen?



    Hier würde ich mir mehr Aufklärung erwarten, vor allem bei der taz. Dass ich das bei Springer & Co nicht finde, is ja selbsterklärend

  • Jüdische Studierende organisieren eine 7-tägige “Mahnwache gegen Volkskanzler & Kellernazis” mit einer Videoinstallation am Wiener Burgtor. Bekannte Künstler und Vertreter der jüdischen Gemende werden sprechen.

    Alon Ishay

    Alon Ishay, Präsident der Jüdischen österreichischen Hochschüler:nnen (JöH) "



    Als junge Jüdinnen und Juden stellen wir uns oft die tragische Frage, wer uns während der NS-Zeit versteckt hätte. Beim FPÖ-Chef fällt die Antwort knapp und ernüchternd aus: Herbert Kickl hätte uns deportiert.“

    Wo sind die Stimmen bekannter deutscher Politiker und Künstler und Medien, die sich vehement gegen einen Kanzler Kickl einsetzen? Schweigen im Walde?

    www.ots.at/pressea...tte-uns-deportiert

  • Unfähigkeit zur Selbstkritik herrscht bei allen deutschen Parteien auch vor

  • So schnell fallen Brandmauern.



    O.K., es waren Politiker-Brandmauern, keine der Feuerwehr, denn die halten länger.

  • Auch in D gibt es keine Brandmauer. Solange die CDSU bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit die GRÜNEN als Koa-Partner ablehnt, jedoch die AfD nicht -wenn überhaupt- dann nur ganz verschämt geflüstert. Das zeigt sehr deutlich, dass es CDSU im Grunde gleichgültig ist mit wem sie koalieren, Hauptsache man stellt den Kanzler und hat Partner, die in der gleichen Richtung unterwegs sind. Dadurch disqualifizieren diese Leute sich selbst.

    • @Perkele:

      In welcher Welt leben Sie ?



      Die CDU lehnt doch keine Koalitionen mit den Grünen ab.



      Die koalieren ja sogar mit dem BSW und, getarnt als unerklärte Duldung, auch mit der Linken.



      Und im Wahlkampf erzählen sie jetzt ihren Wählern, die keine Koalition mit den Grünen wollen, daß sie nicht mit den Grünen koalieren wollen.



      Jeder weiß, daß die Distanzierung von den Grünen nur Wahlkampfgesäusel ist.



      Aber die Grünen und ihre Fans können schon mit so ein bißchen Liebesentzug nicht umgehen und fühlen sich ausgegrenzt. Aber wenn die CDU, wie es die Strippenzieher hinter Merz wie Wüst und Günther wollen, einen Koalitionswahlkampf zusammen mit den Grünen machen würde, würde das die CDU-Wähler in Scharen zur AfD treiben.

    • @Perkele:

      Die Union hat einen Parteitagsbeschluss, der jede Zusammenarbeit mit der AfD verbietet. Deswegen wird auch nicht darüber gesprochen, weil ein Befürworten ein Grund für ein Parteiordnungsverfahren wäre. Daher muss niemand eine Koalitionsregierung mit der AfD ausschließen, das ist bereits Parteiräson.

      Für die Grünen hingegen gibt es nicht nur keine Beschlüsse, sondern auch lautstarke und mächtige Befürworter einer solchen Koalition (Wüst, Günther, Laschet). Daher müssen die Gegner permanent darüber sprechen.

  • "Anders als in Deutschland gibt es keine Brandmauer nach rechts außen."



    Na ja, wie das damit in Deutschland aussieht, ist noch unter Beweis zu stellen. Der Brandfall steht noch aus...