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Kommentar über angebliche ÜbergriffePropaganda der Polizei

In Kiel gab es keinen Mob, der Frauen gefilmt und verfolgt hat. Die Polizei aber malte das Zerrbild triebgesteuerter muslimischer Verdächtiger. Das ist skandalös.

Vize-Landespolizeidirektor Joachim Gutt berichtet im März vor dem Innenausschuss in Kiel. Foto: Carsten Rehder/dpa

HAMBURG taz | Dass die Republik seit den Silvester-Angriffen von Migranten auf Frauen eine andere geworden sei, ist ein Gemeinplatz. Wie fundamental, das zeigen die Ereignisse um den Kieler Sophienhof. Wohlgemerkt nicht die im Sophienhof. Denn die stellen sich jetzt völlig anders dar, als es zunächst schien.

Von dem Mob aus bis zu 30 männlichen Migranten, die drei junge Frauen verfolgt, bedrängt und dabei fotografiert und gefilmt haben sollen, sind zwei angetrunkene Jugendliche geblieben, die sich ihrer Festnahme widersetzt haben. Ja, zuvor sind sie offenbar den Frauen so nahe gekommen, dass die sich bedroht fühlten. Aber dabei mussten sie nicht die berüchtigte „Armlänge Abstand“ verteidigen. Und keine von ihnen, das ist nun nach 36 Tagen endlich klar, wurde fotografiert oder gar gefilmt.

Natürlich hatten die Frauen das Recht, die Polizei zu rufen, schon wenn sie sich belästigt fühlten. Aber was diese Polizei dann anstellte, ist skandalös. Die Beamten hatten offenbar so verinnerlicht, dass sie Tatverdächtige mit Migrationshintergrund unverzüglich der Öffentlichkeit vorzuführen haben, dass sie alle vermeintlichen Details veröffentlichten, die ins Silvester-Schema passen: einen völlig überzogenen Tathergang, die Herkunft der Verdächtigen samt – falschen – Altersangaben; plus die Spekulation, die beiden könnten im Netz die Bilder verbreitet haben, von denen sich später herausstellt, dass es sie gar nicht gibt.

Das ist eine Posse für sich: Tagelang eiert die Polizei herum, findet keine Bilder. Mit dem absurdesten Zwischenstand – nicht im Sophienhof aufgenommene Facebook-Profilbilder – führt sie das Parlament an der Nase herum. Ohne sich hinterher zu korrigieren. Was seit Silvester als „maximale Transparenz“ zur neuen Kommunikationslinie der Polizei wurde, ist in Wahrheit Propaganda. Es hat eine Umkehr der Beweislast stattgefunden: Verdächtige Migranten haben so lange öffentlich als schuldig zu gelten, bis sie das Gegenteil beweisen können.

Seine Wirkung hat das längst getan: Das Zerrbild vom triebgesteuerten, frauenverachtenden muslimischen Mann ist weiter ausgemalt geworden. Dank der Kieler Polizei.

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1 Kommentar

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  • "sind zwei angetrunkene Jugendliche geblieben, die sich ihrer Festnahme widersetzt haben".

     

    Wenn sonst nichts vorgeworfen werden kann dann kommt immer der "Widerstand gegen die Festnahme" das funktioniert garantiert immer, da müssen sich die beteiligten Polizisten nur einig sein...