Kommentar Zustand der Sozialdemokratie: Diszipliniert ins Abseits
In der SPD ist es nach der verlorenen Bundestagswahl auffällig ruhig. Auch die Partei-Linke muckt nicht auf. Diese Langmut wirkt wie Selbstaufgabe.
W as ist bei der SPD eigentlich falsch gelaufen? War es nur handwerkliche Schwäche, falsches Personal? Die Kandidatenkür im Januar war jedenfalls eine Sturzgeburt, für Martin Schulz war Innenpolitik Neuland und es existierte keine für ihn komponierte Kampagne. Doch die entscheidenden Gründe wurzeln tiefer – in der Unfähigkeit der SPD, etwas anderes sein zu können als Merkels fleißiger Juniorpartner.
Der erste Fehltritt bestand darin, nach der von der CDU gewonnenen Wahl im Saarland Rot-Rot-Grün zu begraben, gegenüber der Linkspartei auf Attacke zu schalten und eine Ampel als einzige Machtchance zu verkaufen. Wie die Aussicht auf ein Bündnis mit der FDP zu dem Gerechtigkeitswahlkampf der SPD passte, blieb das wohl gehütete Geheimnis der SPD-Führung.
Der zweite Fauxpas war der Auftritt von Gerhard Schröder auf dem Parteitag im Juni, der wie das Dementi von Schulz’ vorsichtiger Korrektur der Agenda 2010 wirkte. Beides gemeinsam verscheuchte jene, die der SPD im Februar und März Umfragen von mehr als 30 Prozent beschert hatten. Denn die meisten jener Wähler in spe waren, nach soliden Umfragen des Meinungsforschers Richard Hilmer im Frühjahr, vom Agenda-Kurs frustrierte Ex-SPD-Wähler.
Die SPD verspielte damit zielsicher den Bonus des Kandidaten Schulz. Der symbolisierte glaubwürdig das Gegenbild zu dem Aufsteigertypus Schröder, der mit Geld und Status Distanz zu seiner proletarischen Herkunft demonstrieren muss. Schulz hingegen galt als bescheiden, immun gegen Statussymbole und mit Antennen für die Klientel ohne Jurastudium. Damit hätte er durchaus die Selbstversöhnung der Post-Agenda-2010-Sozialdemokratie verkörpert können. Verschüttete Milch.
Denn die SPD-Spitze brachte das Kunststück fertig, weder zu begreifen, worin der Schulz-Hype im Kern bestand, noch wie sie danach eigenhändig diese Klientel zum Teil in die Arme der AfD trieb.
Spiegelstrich-Gerechtigkeitsprosa
All das wäre vielleicht noch reparabel gewesen, wenn die Partei einen zupackenden Wahlkampf inszeniert hätte. Doch das Programm war etwas für Fachleute: Spiegelstrich-Gerechtigkeitsprosa, die sich las, als wäre sie von Experten verfasst, von Staatssekretären und Verbänden geprüft und klein geraspelt. Ein bisschen höhere Steuern für Superreiche, ein bisschen mehr Rente 2030 – und alles so wattig formuliert, dass die Gefahr, damit im Wahlkampf aufzufallen, bei null lag.
Ein Konzept gegen die AfD wäre es gewesen, sozialpolitisch links zu blinken und dies mit deutlichen Law-and-Order-Botschaften für die Verunsicherten zu kombinieren. Doch zu innerer Sicherheit fiel den Genossen gar nichts Zitierbares ein. So reklamierte die SPD Gerechtigkeit und Sicherheit für sich – aber ein Symbol, was damit außer von allem ein bisschen gemeint war, fehlte.
All das war kein handwerklicher Missgriff. Es drückt vielmehr präzise das technokratisch verkümmerte Selbstverständnis einer Partei aus, der Verwaltung zur zweiten Natur geworden ist. Schlicht lächerlich machten sich Schulz & Co. mit der Klage, dass Merkel ein „Anschlag auf die Demokratie“ sei, weil die Meisterin des Mitte-Kurses die SPD-Gerechtigkeitsprosa, ohne mit der Wimper zu zucken, zur Regierungspolitik gemacht habe. Das sprach nicht gegen Merkel, sondern gegen die Verzagtheit des SPD-Programms.
Ausblick aufs Bodenlose
Nun steckt die Sozialdemokratie in einer Krise, die, wie in den Niederlanden oder Frankreich, zum Fall ins Bodenlose werden kann. Es wird nicht Jahre, sondern Jahrzehnte dauern, bis die Partei wieder einen ernst zu nehmenden Kanzlerkandidaten aufstellen kann. So fern von der Möglichkeit, jemals das Kanzleramt zu erobern, war die SPD zuletzt in den 50er Jahren. Denn sie leidet nicht nur an akutem Mangel an Zuspruch bei WählerInnen, sondern auch an Bündnispartnern. Die Grünen sind dabei, das Lager zu wechseln. Aus Union, FDP und Grünen kann durchaus eine neue bürgerliche Mitte wachsen. Dass Jamaika instabil wird, kann die SPD hoffen, beeinflussen kann sie es nicht.
Wo sie noch eigenständig handeln kann, tut sie dies höchst unentschlossen. Ein normales Verhältnis zur Linkspartei ist nur wolkige Hoffnung. In Niedersachsen versucht die SPD die Linkspartei gerade unter fünf Prozent drücken. Der Wunsch, die linke Konkurrenz zu zerstören, ist noch immer stärker als der, an der Macht zu bleiben. Solange das Ressentiment kräftiger ist als das Interesse, ohne Union zu regieren, kann man die SPD noch nicht mal bemitleiden. Mitleid verdient, wer an widrigen Zuständen scheitert, nicht wer stumpf immer wieder den gleichen Fehler wiederholt.
Beunruhigend ist derzeit die Ruhe in der Partei. Jede Organisation, egal ob Partei, Firma, Zeitung oder Fußballclub, würde angesichts einer derartigen Krise reflexhaft nach Auswegen suchen. Die erst mal planlose Unruhe oder die hektische Nervosität sind ja immerhin vitale Affekte. Oft schafft erst gärende Unordnung die Voraussetzung, um Gewohntes durch Neues zu ersetzen.
Bei der SPD gibt es kaum etwas davon. Die Basisinitiative „SPD plus plus“ fordert eine Quote für Jüngere in den Gremien und mehr Digitales. Das ist irgendwie vernünftig – aber angesichts der Dramatik der Situation von kläglicher Bravheit. Quote statt Revolte.
Eigentlich müsste dies die Stunde der SPD-Linken sein. Die letzten drei Bundestagswahlen haben mit Steinmeier, Steinbrück und Schulz Parteirechte verloren. Doch kein Aufstand, nirgends. Dem linken Flügel fehlt es für eine Revolte an allem – Elan, Ideen und Personal. Die SPD-Linke ist, abgesehen von ein paar tapferen Einzelkämpfern, zur leeren Hülle geworden, ein verwitterter Markenname, der noch taugt, um parteiinterne Machtkämpfe zu organisieren.
Mag sein, dass die mittlere Vernünftigkeit eine brauchbare mentale Ausstattung für die Große Koalition war. In der Krise wirkt diese endlose Langmut wie Selbstaufgabe. Die Leidenschaftslosigkeit, mit der sich die Partei ins Unabänderliche fügt, ist ein Zerfallszeichen. Die Sozialdemokratie ist auf den Weg in die Bedeutungslosigkeit. Diszipliniert, geschlossen und ohne Lärm zu machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen