Kommentar Wahlkampf der Linkspartei: Traditionsantiimperialismus
Sahra Wagenknecht scheint FDP-Chef Lindners Krim-Aussagen gar nicht so schlecht zu finden. Dabei will sie nur ihre Stammklientel binden.
D eutschland ist ein konservatives Land. Eines, das festhält, was einmal errungen ist, und Schritte ins Ungewisse vermeidet. Wer das bestreitet, muss nur auf die Wahlumfragen blicken: Mit Ausnahme von FDP und AfD stehen alle Parteien wieder dort, wo sie am Wahlabend 2013 standen. Neue Wählerschichten können sie nicht erschließen.
Das gilt auch für die Linkspartei. Ihre Spitzenkandidatin, Sahra Wagenknecht, sprang jetzt FDP-Chef Lindner bei, der laut über eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland wegen der Krim-Annexion nachgedacht hatte. Auf Facebook schrieb Wagenknecht vom „Nato-Eskalationskurs gegenüber Russland“, der zu einem „dritten Weltkrieg“ werden könne. Dieser Traditionsantiimperialismus hat einen klaren Zweck: die Stammklientel an die Partei zu binden. Er sichert der Linkspartei zwar den Sprung über die Fünfprozenthürde, schnürt sie aber von Zugewinnen ab.
Denn das einzig Neue in diesem Herbst könnte eine Jamaika-Koalition zwischen CDU, FDP und Grünen werden, welche die Ökopartei mittelfristig ins bürgerliche Lager schiebt. Damit wird ein Segment von Wählern frei, die eine ökologische, menschenrechtliche und zugleich sozialstaatliche Orientierung wollen. Aber wer in diesen Tagen mit potenziellen Grünen-Wählern debattiert, die Jamaika nicht wollen, doch zugleich von der Außenpolitik der Linkspartei abgestoßen sind, ahnt: Größtenteils werden sie ihr Kreuz nicht bei Wagenknecht machen. Eher wählen sie zähneknirschend Grüne oder die Satiriker von Die PARTEI.
Dabei verfügt die Linkspartei nur scheinbar über ein bequemes Polster: Im Osten bröckelt die Wählerschaft Richtung AfD, im Westen ist sie in fast allen Flächenländern ohne Bedeutung. Und falls die SPD zukünftig doch mal einen Kanzlerkandidaten aufstellt, der überzeugend für soziale Gerechtigkeit steht, sinkt der Prozentanteil der Linkspartei schnell, wie die Anfangseuphorie über Martin Schulz bewies.
Die Linkspartei müsste schon deshalb darüber nachdenken, wie sie neue Wähler gewinnt, weil sie die alten verlieren kann. „Wir waren immer Avantgarde“, hat Österreichs Kanzler Christian Kern kürzlich in der taz über die Sozialdemokratie gesagt. Die Linkspartei mag vieles sein, aber den Begriff Avantgarde verbindet niemand mit ihr. Sie verwaltet ihre Bestände.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Geiselübergabe in Gaza
Gruseliges Spektakel
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Russland und USA beharren auf Kriegsschuld des Westens