Kommentar Volksentscheid: Liebes Volk, leck uns doch!

Mit seiner Entscheidung, den Volksentscheid für ein grünes Stadtwerk getrennt von der Bundestagswahl abzuhalten, tritt der Senat dem Souverän gezielt vors Schienbein.

Mitglieder des Berliner Energietisches demonstrieren vor dem Roten Rathaus für die Zusammenlegung des Abstimmungstermins des Volksentscheids «Neue Energie für Berlin» mit der Bundestagswahl am 22. September Bild: dpa

Eindeutiger kann man dem Souverän nicht in die Fresse hauen: Mit der Entscheidung, den Energie-Volksentscheid nicht zur Bundestagswahl im September, sondern an einem beliebigen Sonntag im November anzusetzen, sagt der Senat ganz unverblümt, was er von Demokratie hält: nichts. Wählt uns gefälligst alle fünf Jahre ins Abgeordnetenhaus – und lasst uns ansonsten gefälligst in Ruhe. Was, ihr wollt ein Wörtchen mitreden? Habt gar selbst Ideen, wie die Stadt ihre Zukunft gestalten kann? Uns doch egal.

So deutlich sagt das natürlich kein Politiker, nicht einmal Innensenator Frank Henkel, der als Oppositioneller selbst einmal die pragmatische Zusammenlegung einer Wahl mit dem Volksentscheid zum Religionsunterricht forderte. Doch was gehen ihn seine Reden von gestern an, wenn er heute nun mal gegen ein landeseigenes Ökostadtwerk ist? Da scheut man als machtgeiles Alphamännchen natürlich keine Kosten und Mühen, das zu verhindern.

Auch der Regierende Klaus Wowereit stellt sich natürlich nicht coram publico hin und sagt: Ihr könnt mich mal. Im übertragenen Sinne allerdings pinkelt er der Plebs in Partei und Volk ziemlich frontal ins Gesicht – wie seinerzeit bei der A100. Ihr wollt nicht wie ich? Dann lass ich eben so lange und oft abstimmen, bis mir das Ergebnis passt.

Gut möglich, dass das Kalkül kurzfristig aufgeht und der Volksentscheid mangels Beteiligung in die Binsen geht. Langfristig allerdings dürfte die Sache kaum im Interesse der Politik liegen. Denn auch die Beteiligung an anderen Wahlen – etwa am 22. September – dürfte unter dieser Arroganz der Mächtigen leiden. Und dann? Dann geht das verlogene Lamento von der Politikverdrossenheit des dummen Wahlvolks wieder von vorn los.

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Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.

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