Kommentar Volksbegehren in Bayern: So etwas Ähnliches wie Demokratie
Mit der erfolgreichen Unterschriftensammlung „Rettet die Bienen“ haben die Bayer*innen es geschafft, Fortschritt zu erzwingen. Bayern braucht so etwas.
G lückwunsch an die eine Million Bayer*innen, die für die Rettung der Bienen unterschrieben haben! Mit dem erfolgreichen Volksbegehren haben sie es wieder einmal geschafft, die CSU aus dem alten Trott zu reißen und ein bisschen Fortschritt zu erzwingen. Selbst wenn am Ende nicht alle Forderungen erfüllt werden und die Regierung noch einen Kompromissvorschlag durchbringt: Irgendetwas muss sie jetzt für den Naturschutz tun. Allemal besser als nix!
Und ist es nicht wunderschön, zu sehen, wie sich Markus Söder windet und an einen runden Tisch zu retten versucht, wo der Ministerpräsident dann als größter Opportunist unter der Sonne so tun wird, als sei er „nadürlich scho immer“ für den Schutz der Bienen gewesen? Ohne Volksbegehren käme er um diese Peinlichkeit herum.
Bayern braucht so etwas. Da ein Regierungswechsel laut ungeschriebenem bayerischem Grundgesetz verboten ist, sind Volksbegehren der einzige Weg, das Land ökologisch und kulturell halbwegs auf den Stand des 21. Jahrhunderts zu bringen – oder sogar weiter, wie beim rigorosesten Rauchverbot aller deutschen Wirtschaftsräume.
Robert Habeck mag das überraschen, aber in Bayern gibt es also auch ohne grüne Regierungsbeteiligung schon so etwas Ähnliches wie Demokratie. Ein Volksbegehren kann hier mehr bewegen als noch so viele Grüne im Landtag, und, ja, da darf man ruhig euphorisch werden wie die Initiator*innen des Bienenschutzbegehrens und hoffen, dass so viel eifrige Bürgerbeteiligung Schule macht. Also her mit Volksbegehren auch auf Bundesebene?
So reizvoll das klingt: Hier ist das Risiko dann doch ein wenig höher als in Bayern, wo Korrekturen der CSU-Politik fast automatisch Verbesserungen darstellen und der Wirkungsraum begrenzt ist. Was aber, wenn das deutsche Volk mit 51 Prozent die Grenzschließung oder den EU-Austritt begehrt? Wie schwer so radikale Volksentscheidungen wieder zu korrigieren sind, sieht man am Brexit. Bundesweite Referenden einzuführen sollte man sich also bei aller Euphorie gut überlegen. Sie dienen nicht immer nur den Bienen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alleingang des Finanzministers
Lindner will Bürgergeld kürzen
Putins Brics-Gipfel in Kasan
Club der falschen Freunde
Deutsche Asylpolitik
Die Hölle der anderen
Kritik an Initiative Finanzielle Bildung
Ministeriumsattacke auf Attac
Linke in Berlin
Parteiaustritte nach Antisemitismus-Streit
Investitionsbonus für Unternehmen
Das habecksche Gießkannenprinzip