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Kommentar Türkeipolitik DeutschlandsGabriel stolpert über sich selbst

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Es hätte ein diplomatisches Meisterstück werden können, doch der Außenminister macht sich alles kaputt. Denn er hat eines nicht bedacht.

Sigmar Gabriel im Einsatz Foto: dpa

D as ideale Szenario für Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) sieht so aus: Flug nach Istanbul mit dem bundeseigenen Airbus, Übergabe der türkischen Geisel Deniz Yücel auf dem Rollfeld, triumphale Rückkehr nach Berlin und Autokorso nach Kreuzberg. Ein Traum.

Gelänge ihm ein solches diplomatisches Meisterstück, wäre Gabriel nicht mehr aufzuhalten. Seine Partei liebt ihn zwar nicht, könnte ihm die Weiterbeschäftigung in der nächsten Groko trotzdem nicht mehr verweigern. Er könnte den Job im Auswärtigen Amt, den er so richtig ins Herz geschlossen hat, zum Wohle der Menschheit weiterführen.

Lange Zeit sah es so aus, als ob Gabriel das Kunststück womöglich gelingen könnte. Als die türkische Polizei im Sommer 2017 den Menschenrechtler Peter Steudtner verhaftete, verschärfte er die Reisehinweise für Urlauber und kündigte an, die Handelsförderung zurückzufahren. Nach den Jahren unter dem Appeasement-Außenminister Steinmeier war das nicht nur erfrischend, sondern auch erfolgreich: Die Sicherheitsbehörden nahmen keine weiteren Deutschen fest, die Justiz ließ sogar die ersten frei.

Die Repressionen gegen die türkische Opposition gingen zwar weiter. Da eine vordringliche Aufgabe der Bundesregierung aber der Schutz der eigenen Staatsbürger ist, war es auch richtig, auf die ersten Freilassungen mit Zugeständnissen zu reagieren und den türkischen Außenminister Anfang Januar einzuladen.

Doch was passiert dann? Gabriel macht sich alles kaputt. Er ködert seinen Kollegen nicht mit wirtschaftlichen Zugeständnissen oder Visa-Erleichterungen, sondern verknüpft den Fall Yücel mit der Aussicht auf Rüstungslieferungen. Der Öffentlichkeit verkauft er die Nachrüstung türkischer Panzer auch noch als moralische Pflicht im Kampf gegen den IS. Im ersten Moment scheint das nur dreist.

Nun, da die türkische Armee mit diesen Panzern bei den Kurden in Nordsyrien vorfährt, wird es vermessen. Und so muss Sigmar Gabriel nun mit dem schlimmsten Szenario rechnen: Er holt Yücel aus Istanbul ab, aber der Autokorso fällt aus. Der Gefangene hat ja mitgeteilt: „Für schmutzige Deals stehe ich nicht zur Verfügung.“

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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11 Kommentare

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  • Es stimmt nicht, dass es keine weiteren Inhaftierungen von Deutschen in der Türkei gegeben hätte. Seit einigen Wochen sitzt eine 18-jährige Frau aus Wuppertal in türkischer Haft. Und nein – sie ist keine "Doppelstaatlerin".

  • Menschen- und Völkerrecht vrs. Strategische Interessen

     

    "Ich möchte wetten, dass einmal ein deutscher Kanzler oder eine Kanzlerin im nächsten Jahrzehnt ... auf Knien nach Ankara robben wird, um die Türken zu bitten, Freunde, kommt zu uns". (EU-Kommissar Günther Oettinger mit Blick auf das massive strategische Interesse des deutschen Establishments an guten Beziehungen zur Türkei in „BILD“ v. 20.02.2013)

  • Es hääte ein diplomatisches Meisterstück werden können - so steht in der Einführung des Artikels. Ich glaube es war vorher schon ganz klar: Erdogan hat nur seine eigenen Interessen im Kopf - er nimmt auf andere, auf Menschen-oder Völkerrecht keinerlei Rücksicht. Er hat kein so starkes Land im Hintergrund wie Trump, ansonsten wäre die Welt genauso seine Geisel! Für mich ist Gabriel als Politiker ungeeignet er hat kein analytisches Urteilsvermögen. - ebenso halte ich ihn nicht für einen sozialen Demokraten.

  • Immerhin wissen mittlerweile 45% #noGroKo Freunde, was man sich da herangezogen hat.

  • Wer so eine Position begleitet und so gut verdient, sollte fähig sein, grundsätzliches "zu bedenken".

    Auf die Sache mit dem Tee will ich gar nicht erst eingehen.

  • Es reicht nicht aus, den Job im Auswärtigen Amt so richtig in's Herz geschlossen zu haben.

     

    Dass nun die Türkei mit deutschen Panzern und deutschem Kriegsgerät gegen die in den Krieg zieht, die bislang dem Westen geholfen haben, den IS zu bekämpfen, das raubt mir den Atem. Wie verrückt ist das denn!?!

    • @Der Allgäuer:

      Das ist überhaupt nicht verrückt und war absehbar. Die Peschmerga haben auch mit der irakischen Armee und den schiitischen Milizen gegen den IS gekämpft. Dann kam das Referendum und man hat dann aufeinander geschossen.

       

      Der Feind meines Feindes ist immer noch mein Feind...

    • @Der Allgäuer:

      Gute Feststellung, das mit dem deutschen Kriegsgerät - die Türkei hat nicht nur Leopard-Panzer, sondern auch Heckler und Koch-Gewehre und noch so einiges andere.

       

      Das ist tatsächlich so eine Art deutscher Proxy-Krieg, oder Felderprobung der deutschen Rüstungsindustrie.

       

      Auf Konsequenzen darf man sich gefaßt machen - wenn kurdische Vergeltung auch "dahoam" ankommt, bedankt sich der Bürger hoffentlich bei CDU, SPD, Heckler und Koch, Rheinmetall und Konsorten. Was für ein Schlamassel.

      • @kditd:

        Leider ist das ein Trugschluß. Der Bürger wirds wieder nur auf die "unbegrenzte Zuwanderung" schieben oder so was.

    • 4G
      42494 (Profil gelöscht)
      @Der Allgäuer:

      Das ist nicht verrückt, das ist zutiefst korrupt, beschämend, unfassbar.

      Unsere Politikerkaste ist zum kübeln.

      • @42494 (Profil gelöscht):

        Zustimmung!!!

         

        Ob Armenier oder Kurden. Auf die Beteilung am Völkermord ist auf die deutsche Politikk Verlass.