Kommentar Schwimmunterricht: Der salomonische Burkini
Mädchen zum Schwimmunterricht zu verpflichten, hat gute Gründe: Eine Trennung der Geschlechter ist immer zum Nachteil von Frauen.
S ie haben immer etwas von Zwangsbeglückung, diese Urteile, nach denen Kinder zum gemeinsamen Schwimmunterricht verpflichtet werden können, wie es der Europäische Menschenrechtsgerichtshof nun verfügt hat. Mädchen werden gezwungen, am Schwimmunterricht mit Jungen teilzunehmen, obwohl sie weder halbnackte Jungen sehen noch selbst in Augenschein genommen werden wollen. Gehört zum Grundgesetz tatsächlich, dass man die Schamgrenzen anderer Leute nicht respektiert?
Die Entscheidungen der Gerichte dazu stehen tatsächlich unter Arroganzverdacht: Unsere Nacktheit ist besser als eure Scham und eure Religion, die euch diese Regeln auferlegt.
Aber so einfach ist es eben nicht. Mädchen müssen schwimmen können. Und es hat durchaus einen Wert, wenn Mädchen und Jungen dies gemeinsam tun. Wenn sie den unbefangenen Umgang auch mit dem leicht bekleideten anderen Geschlecht erlernen. Wenn die Geschlechter eben nicht so irre sexuell aufgeladen werden wie im strengen Islam, der sie deshalb trennt. Es gibt gute Gründe dafür, dass zumindest Kinder vor der Pubertät sich gegenseitig als alltäglich und normal wahrnehmen und nicht als das andere Geschlecht, das man auf Abstand hält.
Das wären pädagogische Gründe für die Koedukation, es gibt aber auch verfassungsrechtliche Gründe: Geschlechtertrennung geht immer auf Kosten der Frauen und Mädchen. Sie werden verhüllt, sie werden vom Schwimmen abgemeldet, sie bleiben im Haus. Und das berührt das Recht eines jeden, sich frei zu entfalten, und vor allem berührt es den Gleichheitsgrundsatz in Artikel 3: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung.“
Deshalb ist die Lösung, Mädchen im Burkini zum Schwimmunterricht zuzulassen, eine salomonische. Man kommt den religiösen Bedürfnissen der Muslime entgegen, aber eine Beeinträchtigung der kindlichen Entfaltungsfreiheit lässt man nicht zu. Gut so.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen