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Kommentar Österreich und die EUSchlimmer als zu Haiders Zeiten

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Eine Regierung mit der FPÖ könnte zum Stresstest für die EU werden. Blockaden bei wichtigen Reformen sind zu erwarten.

Hat es in der Hand: Sebastian Kurz (ÖVP) Foto: dpa

W as für ein Schlitzohr, dieser Sebastian Kurz! Daheim in Wien brüstet sich der künftige Kanzler Österreichs, während der Krise 2015 Angela Merkel ausgebremst und die Balkanroute geschlossen zu haben. Im Gespräch mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in Brüssel verspricht er einen „proeuropäischen“ Kurs. Und beim EU-Gipfel will er dann Merkel busseln.

Ist das glaubwürdig? Überhaupt nicht. Schon gar nicht, wenn Kurz, wie zu befürchten, ein Regierungsbündnis mit der EU-feindlichen FPÖ eingeht. Denn die steht Viktor Orbán in Ungarn näher als jede andere Partei in Westeuropa. Wenn Kurz der FPÖ auch noch das Wiener Innenministerium überlassen sollte, muss man sich auf das Schlimmste gefasst machen.

Macht nichts, wir haben auch schon einen Jörg Haider überlebt, könnte man sagen. Doch Haider wurde nicht von der EU ausgebremst, die damals sogar diplomatische Sanktionen verhängte. Er wurde von genau jenen Rechtsauslegern der FPÖ weggedrängt, die sich heute auf die Machtübernahme in Wien vorbereiten. Die Gefahr ist heute also ernster als zu Haiders Zeiten.

Das betrifft nicht nur die Flüchtlingspolitik, bei der nun eine Dauerblockade droht – von Orbán, Kurz und der Visegrad-Gruppe. Es betrifft vor allem die EU-Reformen, die im kommenden Jahr auf den Weg gebracht werden sollen. Der EU-Gipfel will am Freitag eine ehrgeizige Reformagenda beschließen. Doch die Umsetzung könnte an Österreich scheitern.

Denn die Regierung in Wien übernimmt im zweiten Halbjahr 2018 den EU-Vorsitz. Sie hält damit den Schlüssel zu wichtigen Themen wie der Euro-Reform, dem Brexit oder der Vorbereitung auf die Europawahl 2019. Die EU wäre gut beraten, ihr diesen Schlüssel aus der Hand zu nehmen. Der einfachste Weg wäre, die Themen abzuräumen, bevor Österreich dran ist.

Doch dafür müsste sich auch Merkel bewegen. Und danach sieht es derzeit nicht aus, leider. Ihr Zuwarten und Taktieren spielt Kurz & Co. in die Hand.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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14 Kommentare

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  • Das ist ein Standardproblem jeder Politik. Für Politiker war es schon immer ein totales Ärgernis, daß im Gegensatz zu Politikern die Wähler nicht abwählbar oder beliebig austauschbar sind.

  • Die EU wird nicht an Österreich scheitern sondern an Deutschland. Wenn wir nicht gemeinsam mit Frankreich eine Demokratisierung durchsetzen und auf Macht verzichten wird es immer Staaten geben die die EU lähmen weil sie keine wirkliche politische Union wollen.

  • Die Balkanroute ist keineswegs "geschlossen": http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/f-a-z-exklusiv-europol-balkanroute-ist-nicht-geschlossen-14826502.html

    Das ist auch gar nicht möglich.

    Die verzweifelten - ideologisch motivierten - Klimmzüge, irgendwelche Flüchtlingswege zu versperren, zeugen von irrationalen Allmachtsfantasien.

    Wir werden mit Migration konstruktiv umgehen müssen.

  • Dieses korrupte und von tausenden Lobbyisten durchseuchte System, das sich um die wirklichen Probleme der arbeitenden Bevölkerung einen Dreck schert, kann doch nur Menschen überzeugen, die eine sehr schlichte Vorstellung von Demokratie haben.

    • 8G
      82741 (Profil gelöscht)
      @Rolf B.:

      "durchseuchte System"

       

      Nazi-Sprech?

    • @Rolf B.:

      Da wäre ich für eine schemenhaft bemessene Skizze eines Alternativvorschlags dankbar...

      :)

  • Und beim EU-Gipfel will er dann Merkel busseln.

     

    Das ist in der Tat nicht nachvollziehbar, denn eigentlich müsste es umgekehrt sein. Merkel hätte allen Grund, Kurz busseln zu wollen. Denn mit dem Schließen der Balkanroute hat er ihr den Axxxh gerettet.

  • Herr Bonse, wir hatten gerade eine Wahl, das neue Kabinett existiert noch nicht. Wir sind nicht im Krieg, also hat die Kanzlerin auch keine "unaufschiebbaren" Entscheidungen zu treffen. Bis die neue Koalition steht und die Ministerposten besetzt sind gilt: verwalten - NICHT- noch mal eben schnell irgendwelche Fakten schaffen. Das gleiche gilt für die EU, das Migliedsland Ö. hat gerade gewählt, es wird eine neue Regierung geben, bis dahin heißt es abwarten und sich DANN der neuen Situation stellen...Alles Andere mutet schon aus demokratischer Sicht seltsam an.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Die Vorstellungen von Herrn Kurz von Europa sind halt andere als die die von Herrn Bonse, damit muss man halt leben. Wenn er Kurz genügend Unterstützung findet für seine Projekte um so besser.

  • Für das Schließen der Balkanroute bin ich Kurz und der Visegrad-Gruppe sehr dankbar. Ich halte deren Politik nicht für EU-feindlich. Sie alle wollen die EU. Es gibt aber anscheinend unterschiedliche Vorstellung, für was die EU zuständig sein soll und wie sie arbeiten soll.

    Die Demokratie in der EU ist doch ein Witz. Was beschließt schon das PArlament und was wird daran vorbei von den Regierungen unter Umgehung der gewählten Vertreter beschlossen. Eine mächtige Geldverschwendungsmaschine, die primär den Politikern, Beamten und Lobbyisten dient, könnte man meinen. Grundlegende Reformen und mehr (direkte) Demokratie würde der EU sicher nicht schaden, auf jeden Fall, wenn die zu mehr Effizienz führen würde.

    • @haraldarc:

      Die Regierungen SIND gewählte Vertreter. Ganz undemokratisch geht es also in der EU doch nicht zu.

    • @haraldarc:

      Erstens: Ohne die EU wäre Europa weniger friedfertig. Zweitens: Ohne die EU wären die Lebensmittel in den deutschen Supermärkten deutlich teurer. Drittens: Die EU durchläuft seit der Gründung in den 1950ern einen Prozess der parlamentarischen Demokratisierung, der weitergeht.

      • @Der Alleswisser:

        Ohne die EU wäre Europa weniger friedfertig... ich denke nicht, dass, sollte die EU reformiert werden und die Nationalstaaten privilegierter ihre eigenen Interessen durchsetzen können, wir umgehend wieder in Polen einmarschieren würden (das würde schon daran scheitern, dass die meisten Soldaten, aufgrund der katastrophalen Bildungsmisere nicht einmal wüssten in welche Himmelsrichtung sie marschieren sollten...

        wenn man allerdings die Zunahmen islamistisch geprägter Anschläge, Kriminalität etc mit berücksichtigt könnte man schon fast keck schlussfolgern, dass es in Europa sogar friedlicher zugehen würde.

        Aussserdem ist es geradezu putzig wie versucht wird die Visegrad-Gruppe und jetzt auch möglicherweise Österreich, zu einer Minderheit in der EU zu stigmatisieren. Dem, mit viel Hybris unterlegten moralischen Imperativ der Deutschen ist in Europa eigentlich keiner mehr bereit zu folgen.