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Kommentar OB-Wahl in GörlitzNoch nichts gewonnen

Michael Bartsch
Kommentar von Michael Bartsch

Die Görlitzer haben bei der Oberbürgermeister-Stichwahl das kleinere Übel gewählt und die AfD gestoppt. Für die Landtagswahl heißt das noch nichts.

Octavian Ursu vereint jetzt alle hinter sich, die nicht die AfD wählen wollten Foto: Reuters/Pawel Sosnowski

N ein, das war keine Richtungswahl am Sonntag in Görlitz, wie der neue Oberbürgermeister Octavian Ursu (CDU) behauptet. Und die CDU-Spitzen AKK und Paul Ziemiak preisen die Union gar als das bürgerliche Bollwerk gegen die AfD! Keineswegs aber hat die CDU allein, mit einer klugen Politik oder gar mit einem souveränen Kandidaten den ersten AfD-Oberbürgermeister in einer größeren deutschen Stadt verhindert.

Hätten die drittplatzierte Grüne Franziska Schubert und die abgeschlagene Linke Jana Lübeck nicht nach dem ersten Wahlgang vom 26.Mai zurückgezogen, wäre es nicht zu einem faktischen Verhinderungsbündnis gegen AfD-Kandidat Sebastian Wippel gekommen. Beide mobilisierten immerhin ein Drittel des Wählerpotenzials. Bei den Rechtsnationalen ätzte man auch prompt gegen die „Blockparteien“.

Um Schubert ist es besonders schade. Sie ist die klare Favoritin der U30-Generation und gut vernetzt, verkörpert das vitale Görlitz und ist als Christin auch für Konservative anschlussfähig. Aber die Grüne Welle ist noch nicht bis an die Neiße geschwappt. Ihr schmerzhafter Rückzug war aber taktisch richtig, weil ihr als Herausforderin Wippels die CDU-Wählerschaft nur bedingt gefolgt wäre. Es herrscht dort außerdem immer noch das Platzhirsch-Denken vor, der über zweieinhalb Jahrzehnte in Sachsen unantastbar scheinende Machtanspruch der CDU.

Nun haben die Görlitzer das kleinere Übel gewählt. Linke, SPD, Grüne und die „Bürger für Görlitz“ sind dabei anders als die Union über ihren Schatten gesprungen und haben für Ursu votiert. Für die Landtagswahl am 1.September ist damit noch gar nichts vorgezeichnet, weder im Görlitzer Prestigewahlkreis von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) noch sachsenweit.

Die AfD zeigte sich in Görlitz von der OB-Niederlage kaum beeindruckt und lässt weiterhin ihr Spitzenpersonal für die Regierungsübernahme coachen. Sie weiß in der Lausitz als stärkste Partei rund ein Drittel der Wähler hinter sich, auch im Görlitzer Stadtrat. Und wenn Wippel gegen Kretschmer um das Landtags-Direktmandat kämpfen wird, ist ihm überregionale Aufmerksamkeit erneut gewiss.

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Michael Bartsch
Inlandskorrespondent
Seit 2001 Korrespondent in Dresden für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Geboren 1953 in Meiningen, Schulzeit in Erfurt, Studium Informationstechnik in Dresden. 1990 über die DDR-Bürgerbewegung Wechsel in den Journalismus, ab 1993 Freiberufler. Tätig für zahlreiche Printmedien und den Hörfunk, Moderationen, Broschüren, Bücher (Belletristik, Lyrik, politisches Buch „System Biedenkopf“). Im Nebenberuf Musiker.
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9 Kommentare

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  • "Die AfD zeigte sich in Görlitz von der OB-Niederlage kaum beeindruckt ...".

    Mich beeindruckt sie auch nicht, diese "Alle-gegen-einen"-Strategie ... da konnte man schon auf dem Schulhof immer wissen, wer gewinnt.

  • Zwei Frauen ziehen ihre Kandidatur zurück, damit einer der beiden Männer die Wahl gewinnen kann ... finde ich nicht in Ordnung.

  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    Tor ist Tor!

    Und Stimme ist Stimme, was das daraus legitimierte faktische Agieren angeht. Insofern hat auch die anderweitig gescholtene AKK durchaus recht, ist die CDU nun faktisch " das bürgerliche Bollwerk gegen die AfD!"

    Interessante, erwartbare und nicht wenig skurrile Zeiten, was die kommenden Wahlkämpfe und (versuchten) Regierungsbildungen angeht. "Wählt mich!" und verhindert damit die AfD - mein Regierungsprogramm könnt ihr ja später lesen.

    Bin weit weg von Cottbus, kann nicht sagen, ob auch die Linke zur Wahl des CDU-Kandidaten aufgerufen hat. Wenn doch, so hat das schon ein wenig, nicht wenig von politischem Masochismus, weil doch sons in Bund und Land von gerade dieser CDU, soweit noch halbwegs unter Machtoption, grundsätzlich an den Katzentisch verwiesen.

    Genial, da hat man denen, den "Linken", das sonst doch gern in Sonntagsreden hochgehaltene Feindbild einfach mal getauscht. Es gibt eben Wichtigeres als Kapitalismuskritik, als die soziale Frage, als Enteignungen etc.

    • @90857 (Profil gelöscht):

      ""Wählt mich!" und verhindert damit die AfD - mein Regierungsprogramm könnt ihr ja später lesen."

      Danke, den Hinweis finde ich gut. Die etablierten Politiker können sich nun entspannt zurücklehnen, denn sie müssen außer "gegen AFD" nicht mehr viel tun oder sagen, vorerst.

      • 9G
        90857 (Profil gelöscht)
        @*Sabine*:

        Exakt!

        Insbesondere die kleinen Parteien, die meist in der Opposition sind, gerade die Linke und zunehmend wohl auch die SPD,

        sie dürfen, und wollen, und müssen sich primär um den Kampf gegen "rechts" kümmern. Wenn sie das gut machen, dem "Bürgerblock" den Rücken frei halten, dann winkt in Ausnahmefällen, wenn es garnicht anders geht, auch ein Platz am Katzentisch der jeweiligen Regierungsbank.

  • "Die AfD zeigte sich in Görlitz von der OB-Niederlage kaum beeindruckt und lässt weiterhin ihr Spitzenpersonal für die Regierungsübernahme coachen."

    Die AfD kann nur die Regierung übernehmen, wenn sie 51% hat, aber das ist völlig utopisch. In allen anderen Fällen werden sich die übrigen Parteien dann eben zur ganz großen Koalition zusammenschließen.

  • Es heisst eine ganze Menge, nämlich Zugang zu Resourcen.

  • Das Erschreckende ist doch, dass ca. 12% der Wähler, die zuvor nicht AFD gewählt haben, in der Stichwahl Ihre Stimme der AFD und nicht der CDU gegeben haben. Mit anderen Worten: Lieber AFD als CDU. Überzeugte Linke oder Grüne können das ja kaum gewesen sein. Die AFD hat daher noch erhebliches "Potenzial" befürchte ich.

    • @Strolch:

      Absolut gesehen, sind es "nur" 1680 Stimmen, wenn man die Beteiligung am zweiten Wahlgang zugrunde legt, also "nur" knapp 7%, weil die Wahlbeteiligung im zweiten Durchgang niedriger war. Aber erschreckend ist es allemal, da gebe ich Ihnen recht!