Grünen-Kandidatin über Wahl in Görlitz: „Es braucht endlich ein Kümmern“
In Görlitz wäre fast ein AfDler Oberbürgermeister geworden. Grünen-Kandidatin Franziska Schubert sieht nun eine klare Aufgabe für die kommenden Jahre.
taz: Frau Schubert, im ersten Wahlgang vor drei Wochen erreichten Sie mit knapp 28 Prozent der Stimmen Platz drei. Zugunsten des Zweitplatzierten Octavian Ursu von der CDU zogen sie dann Ihre Kandidatur zurück. Wie bewerten Sie das Wahlergebnis?
Franziska Schubert: Ich bin sehr erleichtert. Es ist natürlich recht knapp gewesen und die 44,9 Prozent, die für AfD-Kandidaten Sebastian Wippel abgegeben worden sind, sind eine Aufgabe, die ich ganz klar sehe für die nächsten Jahre.
Görlitz hat eine feste AfD-Wählerschaft. Wie soll man damit umgehen?
Ich glaube, die Wege, die bisher gegangen wurden, sind vielleicht nicht mehr angezeigt. Es sollte darum gehen zu gucken, welche neuen Formate finden wir, welche Art der Ansprache finden wir. Und es braucht endlich ein Kümmern um die Fragen und die Aufgaben, die es gibt.
Welche zum Beispiel?
Die soziale Frage ist in Görlitz – und in Ostdeutschland insgesamt – sehr stark, auch im Landkreis, und die ist in der Landes- und Stadtpolitik stark vernachlässig worden.
Woran liegt das?
Die sächsische CDU war noch nie gut darin, Sozialpolitik zu machen, und das rächt sich irgendwann. Wenn wir uns um die soziale Frage nicht kümmern oder um das Thema Jugend und Bildung, dann werden wir nicht weiterkommen.
Franziska Schubert, geb. 1982 in Löbau, Studium der Internationalen Beziehungen in Osnabrück und Budapest, Mitglied von Bündnis 90/ die Grünen, seit 2014 im Sächsischen Landtag. Die grüne Politikerin, unterstützt von zwei Bürgerbündnissen, hat im ersten Wahlgang mit 27,9 Prozent der Stimmen das drittbeste Ergebnis bei den OB-Wahl in Görlitz geholt. Im zweiten Wahlgang ist sie nicht mehr angetreten.
Octavian Ursu hat nur siegen könne, weil Sie mit Ihrem Verzicht nach dem ersten Wahlgang den Weg frei gemacht haben. Nun hat die CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer in einem Tweet den Erfolg für die Christdemokraten als „bürgerliche Kraft“ reklamiert. Wie empfinden Sie das?
Ich habe bei mir gedacht: „So far away from here.“ Sie ist so weit weg. Eigentlich wäre Demut angebracht. Das ist genau der Stil, der die Menschen wütend macht. Es geht nur ums Thema Macht. Und genau das ist es eben, was die Menschen nicht mehr sehen wollen und so unerträglich finden. Das ist in Sachsen bei der CDU genauso, wie wir es auch auf Bundesebene sehen. Das schadet auch ihren Leuten vor Ort ganz klar.
Was bedeutet das denn für das Verhältnis zwischen CDU und Grüne? Es könnte passieren, dass die Sachsen-CDU nach den Landtagswahlen am 1. September auf Bündnis 90/Die Grünen zugehen muss.
So wie die Sachsen-CDU sich im Moment benimmt, kann man mit ihr nicht koalieren wollen. Das ist ganz klar. Außerdem reist Ministerpräsident Michael Kretschmer durchs Land und behauptet immer, die Grünen sind die Verhinderer und die Blockierer. Ich glaube, mit meiner Entscheidung, in Görlitz nicht mehr in den zweiten Wahlgang zu gehen, habe ich einen Gegenbeweis geliefert. Und den wird er nicht so ohne Weiteres entkräften können. Wir Grünen machen unser Angebot, wir haben seit Jahren eine klare Haltung in den Themen, die wir setzen, und ich glaube, da liegen wir gar nicht so falsch, wenn wir uns die Wahlergebnisse auch in Sachsen angucken.
Michael Kretschmer hat erst heute wieder die Wichtigkeit ökologischer Themen betont. Ist das ein Versuch, auf die Grünen zuzugehen?
Er ist halt wie ein Chamäleon, heute so, morgen so. Es ist schwer, ihn zu fassen zu bekommen, auch für die Menschen. Ich weiß nicht, ob das ein Versuch ist, auf die Grünen zuzugehen. Ich bin da mittlerweile sehr, sehr vorsichtig geworden, was die Lernfähigkeit oder Beratungsfähigkeit der sächsischen CDU angeht.
In Görlitz hat am Sonntag eine Art ganz große Koalition von CDU bis Linkspartei den AfD-Kandidaten verhindert. Das war eine Bündnis gegen etwas. Ist das eine Perspektive für die Zeit nach dem 1. September 2019?
Ich mache diese Gegenrhetorik nicht mit. Das ist nicht mein Stil. Meine politischen Entscheidungen beruhen nie darauf, was ich verhindern möchte. Mir geht es darum zu sagen, wofür ich stehe, was mein Angebot ist und was ich mir für einen Politikstil vorstellen kann. Diese Gegenrhetorik – das verhärtet die Fronten und das wird nicht das Zukunftsmodell sein.
Sondern?
Es geht darum, andere Formen zu finden, wie wir miteinander sprechen. Es geht darum, in der Gesellschaft wieder einen Grundkonsens zu diskutieren, wie wir miteinander leben, was Anstand ist, was Werte sind. Es geht darum, Politik zurückzuholen in die Lebensrealität der Menschen. Da bin ich wahrscheinlich sehr bodenständig. Ich denke, dass Sprache, also Kommunikation, und der Bezug zum Leben Dinge sind, die in Sachsen ein Weg sein können, um dieser Wut, dem Ärger, dem Trotz, auch ein Stück weit Verunsicherung, etwas entgegenzusetzen. Es geht ja darum, ein anderes Angebot zu machen.
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