Kommentar Mord an Kasseler Politiker: Trauern um Walter Lübcke

Im Netz heißt es Hassrede, wo es um Mordfantasien geht. Die Demokratie kann sich Toleranz gegenüber dieser Form von Hetze nicht mehr leisten.

Das schwarz-weiß-Porträt von Walter Lübke auf einem weißen Bogen Papier, dahinter Schwärze

Es muss möglich sein, um einen ermordeten Politiker tu trauern. Ohne Angst vor Instrumentalisierung Foto: imago/ Peter Hartenfelser

Für den Tod Walter Lübcke fehlen die Worte. Sie fehlen schon viel zu lange. Am 2. Juni wurde er vor seinem Wohnhaus erschossen. Sicher, die Hinterbliebenen müssen vor Spekulationen und Hysterie geschützt werden. Niemand sollte und darf eine solche Tat für seine Agenda missbrauchen. Andererseits darf über einen politischen Mord nicht über zwei Wochen betretenes Schweigen gelegt werden, aus Angst, man könnte die Falschen beschuldigen.

Es ist der Tod eines Menschen, der sich ins politische Leben und in diese Gesellschaft eingebracht hat. Es ist der Tod eines Mannes, der für die Werte des Grundgesetzes einstand, ein Spitzenbeamter, der in schwierigen Zeiten von allen Rückgrat verlangte. Es wäre wichtig gewesen, Lübcke zu würdigen und seinem Tod Platz einzuräumen – trotz der offenen Fragen.

Man kann bei einem politischen Mord (und allem Anschein nach war es ein politischer Mord) nicht zwei Wochen für die öffentliche Trauer auf Stand by schalten, nur um keine falschen Debatten auszulösen. Vor allem wenn die Ursache für die falschen Debatten schon an sich untragbar ist: Drohungen, die Menschen über sich ergehen lassen müssen, wenn sie sich in diesem Land für Nächstenliebe und die Umsetzung des geltenden Asylrechts starkmachen.

Die „Schonfrist“ für die öffentliche Aufarbeitung gilt meist insbesondere dann, wenn rechtsextreme Milieus nicht vorschnell beschuldigt werden sollen. Angeblich um die Spaltung der Gesellschaft nicht voranzutreiben. Demokratie kann sich Geduld dieser Art nicht leisten. Jeder politische Mord erfordert umgehend Parteinahme und Schutz, ganz gleich welche Motive noch zu ergründen sind. Als am 16. Juni 2016 die britische Politikerin Jo Cox ermordet wurde, gestattete sich Großbritannien zu trauern, auch wenn die Hintergründe noch offen waren. Ihr Mörder galt zunächst lediglich als psychisch gestört. Im Nachhinein wurden Verbindungen in die Neonaziszene bekannt.

Im Netz härter durchgreifen

Der Mord an einem Politiker muss die Möglichkeit, zu trauern, umgehend anbieten. Stattdessen blieb tagelang Raum für Spekulationen. Rechtsradikale konnten in aller Ruhe darüber entscheiden, ob sie nun mögliche Spuren verwischen, vergangene Hass-Posts löschen – oder in Anbetracht des Todes noch ihren Zynismus in die Öffentlichkeit tragen wollen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verurteilte das Treiben in den sozialen Netzwerken als Erster: „zynisch, abscheulich, in jeder Hinsicht widerwärtig.“ Er wünsche sich mehr öffentliche Diskussion und Empörung. Man könnte sich auch ein härteres Durchgreifen der Sicherheitsbehörden wünschen, die ihre Rechte, private Gespräche zu belauschen, immer weiter ausbauen, zugleich aber bei öffentlichen Foren kaum Durchsetzungskraft zeigen.

Das Internet ist keine Parallelwelt, in der andere Gesetze gelten. Im Internet spricht man von Hassrede, als gäbe es keine Straftaten, sondern nur Gefühle, die geäußert werden. Über solche Hassreden soll sich die Öffentlichkeit korrektiv empören. Dabei handelte es sich bei einigen der Kommentare um die Verunglimpfung des Andenkens Toter, auf die bis zwei Jahre Haftstrafe drohen.

Das postmortale Persönlichkeitsrecht wurde zutiefst verletzt, nachdem schon zu Lebzeiten die Persönlichkeitsrechte Lübckes angegriffen wurden. Der Schutz von Persönlichkeiten, die im öffentlichen Leben stehen, muss in Zeiten der Digitalisierung neu gedacht werden. Einzelne Zitate werden aus dem Kontext herausgerissen und online verbreitet, mit dem einzigen Ziel, Feindbilder zu kreieren, gegen die Rechstradikale sich als Opfer inszenieren können. Auch von Lübcke war ein Video im Umlauf, das Rechtsradikale online stets so deuteten und kontextualisierten, dass Lübcke scheinbar zu jenen zählte, die eher das eigene Volk auslöschen würden, als die Grenzen zu schließen. Wer sich künftig in Bürgerforen den hitzigen Debatten vor Ort stellt, wird diese Ereignisse im Hinterkopf haben.

Im Internet spricht man von Hassreden, wo es um Mordfantasien geht. Im Internet spricht man von Zynismus, wo einem christdemokratischen Politiker – nachdem er das Christentum und die Grundwerte auch auf Flüchtlinge angewandt wissen wollte – mit dem Tod gedroht wird. Durch das Internet finden solch krude Thesen über Menschen in gewaltbereite Netzwerke. Eine Demokratie, die immer auch vom Einsatz der Demokratinnen und Demokraten lebt, kann sich Toleranz gegenüber dieser Form von Hetzte nicht mehr leisten. Nicht zu Lebzeiten eines Menschen. Und erst Recht nicht nach ihrem Tod.

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