Kommentar Labour-Parteitag: Für Opportunismus nicht zu haben
Der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn spricht beim Parteitag vom „Sozialismus“ und hängt auch sonst sein Fähnchen nicht in den Wind. Gut so!
E s war die beste Rede, die er jemals gehalten hat. Der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn hat am Mittwoch auf dem Parteitag in Liverpool selbstbewusst seine Strategie dargelegt, um Labour an die Macht zu bringen. Gestärkt nach seiner kürzlichen Bestätigung im Amt durch die Parteimitglieder, machte er deutlich, dass er beim Thema Einwanderung nicht von seiner Position abrücken werde – auch nicht um des Parteifriedens willen.
Das ist mutig, denn es gibt derzeit nur wenige Politiker in Großbritannien, die keine Einschränkung der Einwanderung fordern. Es seien nicht die Migranten, die die Löhne drücken, sondern ausbeuterische Arbeitgeber, betonte Corbyn. Die meisten Labour-Abgeordneten geben ihm zwar in der Sache recht, doch sie prophezeien eine Wahlniederlage, wenn der Labour-Chef sein Fähnchen nicht nach dem öffentlichen Wind hängt.
Für Opportunismus ist Corbyn aber nicht zu haben. In seiner knapp einstündigen Rede benutzte er fünfmal die Worte „Sozialismus“ oder „Sozialist“, die schon lange nicht mehr auf einem Parteitag gefallen sind, denn sie sind für den rechten Parteiflügel ein rotes Tuch. Um die Wahlen zu gewinnen, muss Corbyn freilich nicht nur seine Anhänger, sondern auch skeptische Labour-Wähler und vor allem genügend Tories von seinem Programm überzeugen, und das ist ein weiter Weg.
Allerdings hat der Mann, den viele als zu radikal und damit nicht mehrheitsfähig einschätzten, schon anderes geschafft: Als Corbyn voriges Jahr seine Kandidatur für die Labour-Führung bekanntgab, erntete er zunächst Gelächter. Doch seitdem hat er Labour zur größten politischen Partei Westeuropas gemacht.
Das Potenzial für den Beistand sozialer Bewegungen, der Corbyn von der jungen Organisation Momentum zuteilwurde, ist längst nicht ausgeschöpft. Und so unwählbar, wie seine Gegner behaupten, ist Corbyns Labour Party gar nicht: Die Bürgermeisterwahlen in London und Bristol wurden schließlich gewonnen.
Der Labour-Chef hat sich im Namen der Partei für den Irakkrieg entschuldigt, den Tony Blair mit angezettelt hatte. Dafür bekam Corbyn stehende Ovationen, doch eine Handvoll Delegierter verließ aus Protest den Saal. Es würde Labour guttun, wenn sie auch die Partei verließen. Corbyn hat es in seiner Rede deutlich gesagt: Niemand wird sich von der Vision einer gespaltenen Partei überzeugen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen