Kommentar Koalitionsdilemma der SPD: Den Lindner geben
Eine Abstimmung über die Koalitionsverhandlungen ist riskant: Beim Scheitern müsste wohl der ganze Vorstand gehen. Also besser selbst abbrechen?
D er SPD-Vorstand hat sich seit der Bundestagswahl nicht immer rational verhalten. Aber ist es wirklich vorstellbar, dass er eine Abstimmung der Parteimitglieder über einen Koalitionsvertrag mit der Union zulässt? Das wäre russisches Roulette – mit vielen Patronen in der Trommel. Denn den Ausgang einer solchen Abstimmung kann niemand vorhersehen.
Es macht Spaß, Sand ins Getriebe zu streuen. Zweimal – beim Brexit und bei der Wahl von Donald Trump – haben in jüngerer Zeit scheinbar Ohnmächtige erfahren, dass sie dem sogenannten Establishment die Rote Karte zeigen können. Solche Erfahrungen wecken Appetit, zumal dann, wenn der Ärger über die eigene Parteiführung groß ist. Was derzeit bei der SPD der Fall ist.
Geredet wird derzeit vor allem darüber, dass die politische Karriere von Martin Schulz vorbei ist, wenn die Basis seiner Partei einen Koalitionsvertrag ablehnt. Das ist allzu kurz gesprungen. Der gesamte SPD-Vorstand wäre blamiert und müsste zurücktreten.
Kevin for President?
Tolle Voraussetzungen für Neuwahlen. Kevin for President? Bei allem Respekt vor dem Juso-Vorsitzenden: Diese Rolle käme für Kevin Kühnert denn doch zu früh.
Der einzige Ausweg aus dieser selbst verschuldeten Zwickmühle ist für die SPD der Abbruch der Koalitionsverhandlungen. Mit möglichst allgemein gehaltenen Begründungen, aber im Zusammenhang mit einer sozialen Frage, die für die Stammwählerschaft wichtig ist. Pflege, Arbeitsrecht, Gesundheit, Rente. Die Auswahl ist groß.
Das sind reine Gedankenspiele, zugegeben. Aber kann irgendjemand glauben, dass solche Überlegungen im SPD-Vorstand nicht angestellt werden? Nein, eine Wette sollte man in einem Kommentar nicht anbieten. Das könnte teuer werden.
Aber, um es salopp zu sagen: Wenn man der SPD-Spitze weiterhin Vernunft unterstellen will, dann muss sie den Lindner geben. Sich also wie der FDP-Vorsitzende aus unbestimmten Motiven heraus, aber dafür umso entschlossener vom Acker machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen