Kommentar Klimaproteste: Zeit für einen neuen Straßenkampf
Proteste für das Klima dürfen ruhig wehtun. „Extinction Rebellion“ ist die richtige Ergänzung zu den allseits gelobten „Fridays for Future“-Demos.
K aum lässt der Hype um die „Fridays for Future“-SchülerInnen-Demonstrationen etwas nach, drängt mit „Extinction Rebellion“ von London aus die nächste globale Protestwelle auf die Straßen: Menschen, die nicht länger nur zusehen wollen, wie die Klimakrise die Überlebenschancen auf dem Planeten bedroht, sondern aktiv dagegen vorgehen.
Und ihre Erfolgsaussichten sind nicht schlecht. Zwar gelang es schon den streikenden SchülerInnen, den Klimawandel endlich wieder auf die Titelseiten und in die Talkshows zu bringen und eine neue gesellschaftliche Debatte auszulösen. Doch an Protesten, die niemandem wehtun und die von fast allen gelobt werden, wird das Interesse nachlassen, sobald sie ihren Höhepunkt überschritten haben.
Niedrigschwelliger ziviler Ungehorsam, wie ihn die AktivistInnen der Extinction Rebellion mit ihren Straßenblockaden ausüben, geht einen entscheidenden Schritt weiter. Er überschreitet symbolisch Gesetze, um auf einen dramatischen Missstand aufmerksam zu machen. Zugleich trägt er ein wenig dazu bei, diesen Missstand zu beseitigen, indem er den klimaschädlichen Straßenverkehr aktiv behindert.
Das wird nicht bei allen gut ankommen. Autofahrende können sehr emotional werden, wenn sie ihre Freiheit bedroht sehen. Doch im eigenen Wagen jederzeit in die nächstgelegene Innenstadt zu fahren, ist kein Menschenrecht, sondern gefährlicher Wahnsinn zulasten anderer. Nämlich derjenigen, die unter den Klimaveränderungen leiden, die die giftigen Abgase einatmen müssen, bei Unfällen verletzt werden oder denen der Platz für umweltfreundliche Fortbewegungsmöglichkeiten fehlt, weil die Autos ihn für sich beanspruchen.
Doch auch wenn viele Medien ein anderes Bild vermitteln: In Städten ist es eine – lautstarke – Minderheit, die am Auto hängt, und eine – bisher oft schweigende – Mehrheit, die unter ihm leidet. Lokale Initiativen bemühen sich bereits vielerorts, die falschen Prioritäten in der Verkehrspolitik zu verändern. Doch vor wirklich radikalen Forderungen schrecken sie oft zurück. Das könnte sich ändern, wenn es eine neue, überregional vernetzte Bewegung gegen den Individualverkehr gäbe.
Die Zeit ist reif dafür, das zeigt die Stagnation der Klimapolitik in den letzten Jahren nur zu deutlich. Auch für SchülerInnen, die über den Streik hinaus aktiv bleiben wollen, könnte sich hier ein gutes Betätigungsfeld bieten. Klimaschädliche Autos gibt es schließlich in jeder Stadt. Und wenn der Protest bei der Elterngeneration dann nicht mehr ganz so gut ankommen sollte wie bisher, kann das ja auch mal eine interessante Erfahrung sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“