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Kommentar Kindergeld für EU-AusländerEinladung zum Missbrauch

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Nur die Empfänger missbräuchlich bezogenenen Kindergelds zu bestrafen, löst das Problem nicht. Die Kassen tragen eine Mitverantwortung.

Die Prüfung von Kindergeldanträgen scheint in den Bundesländern unterschiedlich zu laufen Foto: dpa

E s ist seit Jahren ein Aufreger: das Kindergeld für EU-Aus­län­de­r*innen. Dabei geht es um die Frage, ob Kinder, die nicht in Deutschland leben, diese staatliche Leistung erhalten sollen. Es genügt nämlich, wenn ein Elternteil in Deutschland gemeldet ist oder arbeitet.

Das kann zu Missbrauch führen, so wie offenbar jetzt in Nordrhein-Westfalen – möglicherweise zum wiederholten Male. Und wie es andernorts auch passieren könnte. Um es klar zu sagen: Erschleichen von Leistungen, Fälschen von Geburtsurkunden, Arbeits- und Mietverträgen, mit denen die Empfänger*innen das Kindergeld beantragt und bekommen hatten, sind Straftaten und gehören geahndet.

Das Problem des Missbrauchs löst man indes nicht, indem man einzig die Bezieher*innen bestraft. Sie sind das letzte Glied professioneller Schleuserketten, die davon leben, Menschen mit fadenscheinigen Versprechungen nach Deutschland zu holen und in Abbruchhäuser einzuquartieren. Um ihnen dann Scheinarbeitsverträge in die Hand zu drücken und von dem Kindergeld, das diese damit „verdienen“, eine fette Summe einzustreichen, als „Honorar“. Solche Machenschaften sind auf der politischen und der polizeilichen Ebene zu klären.

Die Kindergeldkassen tragen dennoch eine Mitverantwortung: Sie haben den Auftrag, Anträge sehr genau zu prüfen. Man kann sich des Eindrucks allerdings nicht erwehren, dass das in den Bundesländern unterschiedlich „ausgelegt“ wird. Während es beispielsweise in Berlin selbst für Einheimische unverständlich erscheint, dass sie nach mehrfacher Antragstellung inklusive Vorlage sämtlicher Kita- und Schulbescheinigungen monatelang kein Kindergeld bekommen („wir prüfen noch“), scheinen das Behörden andernorts lockerer zu handhaben.

Nun könnte man auch argumentieren, dass das Kindergeld nur an Kinder im jeweiligen Land in der dort üblichen Höhe gezahlt werden sollte. Davon wären dann auch im EU-Ausland lebende deutsche Kinder betroffen. Das wiederum dürfte hierzulande ebenfalls zu einem Aufschrei führen.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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9 Kommentare

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  • Dass die 'Prüfung' in Berlin so lange dauert, weil die so gewissenhaft prüfen, ist ja wirklich herzallerliebst.



    Dass die Verwaltung in Berlin nur rudimentär funktioniert hat damit bestimmt nichts zu tun, gelle.



    Die sparen damit ja nicht mal was ein, das Kindergeld wird nur später ausgezahlt.

  • Ich gestatte mir anzumerken, dass Missbrauch staatlicher Leistungen ein Kontrolldelikt ist.

    Vielleicht kontrollieren die Behörden in den Bundesländern, die sich zu Wort gemeldet haben, nur mehr.

    Die Annahme, dass die Berliner Behörden besser kontrollieren würden, nur weil sie langsamer arbeiten, halte ich für gewagt.

    • @rero:

      Korrekt, es würde sehr logisch zu diesen Sozialterroristen von CDU, FDP und SPD passen erst die Steuerfahndung zu marodieren (Wuppertaler Seitenwechsel zu Großkanzlei) und dann statt die Unternehmen zu kontrollieren und so für Einnahmen zu sorgen, die Kontrollen bei Sozialleistungen - oder solchen die sie dafür halten - zu intensivieren um einen Tropfen von dem was aufgrund der erstgenannten Sabotage verloren geht auf der Einnahmenseite auf der Ausgabenseite zu "sparen".

  • Das Kindergeld sollte einfach abgeschafft werden. Damit wäre auch das angebliche Problem der Anrechnung auf Harz IV beseitigt.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Ich kann durchaus einigen Sinn darin sehen, gar kein Kindergeld zu zahlen, wenn das Kind nicht auch hier lebt, ist doch das Kindergeld keine Leistung, die man sich durch vorherige Einzahlung erwirbt und haben doch Rumänen und Bulgaren auch ein Kindergeld, wenngleich ein sehr viel geringeres.

    Das Kindergeld ist laut Wiki zur Sicherung des Existenzminimums des Kindes da. Dieses ist natürlich in den genannten Ländern ein anderes als hier. Insofern würde ich auch die Anpassung an dortige Zahlungen für nicht ungerecht halten, wobei ich mich zudem frage, ob die beiden Staaten nicht auch per se ein Kindergeld an Kinder zahlen, die dort wohnen, womit das betreffende Kind zweimal Geld erhielte!?

    Andererseits sind diese Menschen ohnehin schon gestraft, wenn Familien aufgrund von Arbeit getrennt sind. Aber diese Überlegung kann ja schlecht zur Maxime werden bei diesem Thema.

    Was mich auch wundert: als wir vor etlichen Jahren, als eine Familie noch 6 Monate nach der Geburt des Kindes 600 DM erhielt, für längere Zeit zu einem Forschungsaufenthalt ins außereuropäische Ausland wollten, hat man uns das Geld in dieser Zeit nicht gezahlt mit dem Argument, das wäre dazu da, die Kinder in Deutschland aufzuziehen.

  • Der mißbrauch läuft weniger mit kindern, die im Ausland leben, sondern mit angeblich in Deutschland lebenden Kindern von EU- Ausländern. Insgesamt ist dieser Artikel sehr wenig informativ und scheint eher ein Bauchgefühl zu verbalisieren.....



    Deutsche Kinder in Ausland sind etwa 32.000 von insgesamt 268.000 Kindern die im Ausland Kindergeld erhalten. Insgesamt bekommen etwa 3 Millionen ausländische Kinder kindergeld, mit denen, die in Deutschland leben. Kindergeld wird absolut für etwa 15 Millionen Kinder bezahlt, 12 Millionen sind Deutsche.

  • Vogelschiß

    Zitat: „Nun könnte man auch argumentieren, dass das Kindergeld nur an Kinder im jeweiligen Land in der dort üblichen Höhe gezahlt werden sollte. Davon wären dann auch im EU-Ausland lebende deutsche Kinder betroffen. Das wiederum dürfte hierzulande ebenfalls zu einem Aufschrei führen.“

    Dies scheint nicht das Hauptproblem zu sein. Da das Kindergeld im EStG geregelt ist, müßte die Forderung, dessen Höhe bei Zahlungen ins Ausland nach den jeweiligen dortigen Lebenshaltungskosten zu bemessen, auch für jene Steuerpflichtigen mit Kindern im Ausland gelten, deren Kindergeld-Ansprüche mit den Kinderfreibeträgen abgegolten sind, was deren länderdifferenzierte Festsetzung voraussetzte. Abgesehen von den EU-rechtlichen Hindernissen, die einer solchen EStG-Reform entgegen stünden, wären die möglichen Einsparungen für den Fiskus ein Vogelschiß gegen die gigantischen Einnahmeverluste, die durch systemische legale und illegale Steuertricks der Fat Cats erwachsen. Aus deren Lobbyecke dürfte dann auch das Interesse an dieser medial gepushten Sommerlochdebatte gesteuert sein.

  • Wo viel Licht ist, ist meist auch viel Schatten. Es sei denn, man hockt einsam in der Wüste. Wer (zu) viel hat, der muss sich jedenfalls auch (zu) viel sorgen um seinen Besitz. Vor allem, wenn andere nicht genug zu haben meinen.

    Der Betrug gehört zur Menschheit dazu, so lange sie existiert. Vermutlich sogar länger, denn selbst Raben versuchen, ihresgleichen zu betrügen. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, und sei es auch nur von Mutter Natur, der greift halt leicht zur Selbstjustiz. Vor allem dann, wenn er‘s nicht besser gelernt hat. Hier endet Kultur nicht. Hier fängt sie an.

    Der Duisburger Oberbürgermeister hat offenbar ein kulturelles Defizit. Er scheint schlicht überfordert zu sein von seiner Rolle als Stadtoberhaupt, darf (sich) das allerdings nicht eingestehen. Von Konsequenzen nicht zu reden. Warum sonst sollte er Zuflucht zu Ressentiments nehmen? Wer seiner Aufgabe gewachsen ist, der braucht keine Krieger zu rekrutieren, die in seinem Namen „Druck“ ausüben auf das „Problem“, das wegen fehlender Kompetenzen (Geld, Wille, Fantasie etc.) nicht zu beherrschen ist.

    Übrigens: Dass Karin Dalke es für wichtig hält zu erwähnen, dass Duisburgs OB SPD-Mitglied ist, gibt mir zu denken. Verantwortung ist nämlich immer personenbezogen. Organisationen können keine Verantwortung übernehmen. Sie haben keinen freien Willen und keinerlei eigene Vernunft. Wahrscheinlich hat Karin Dalke es einfach auch nicht besser gelernt. Was kein besonders großes Wunder wäre. Wenn eine Rede von Vollprofi Horst Seehofer (kurz: Voll-Horst) ist, wird ja auch immer darauf verwiesen, dass der ein CSU-Parteibuch in der Gesäßtasche hat.

  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    "Davon wären dann auch im EU-Ausland lebende deutsche Kinder betroffen. Das wiederum dürfte hierzulande ebenfalls zu einem Aufschrei führen."



    So viele deutsche Kinder im Ausland gibt es wohl nicht. Der verlinkte FR-Artikel verweist auf deutsche Rentner in Spanien.



    "Wer Sozialleistungen an niedrigere Lebenshaltungskosten anpassen will, muss auch wollen, dass dem deutschen Rentner in Spanien die Rente gekürzt wird. Wobei der FR-Artikel leider die Begründung schuldig bleibt, warum Kindergeld und Rentenzahlungen gleichartig behandelt werden müssen.

    Der eigentliche Aufschrei kam aus der EU-Kommission. "Eine Anpassung dieser Zahlungen an die Lebenshaltungskosten am Wohnort des Kindes sei wegen des Diskriminierungsverbots nirgendwo im EU-Recht vorgesehen, sagte eine Sprecherin." [1]



    Interessant ist in diesem Zusammenhang: für Großbritannien war eine solche Lösung im Jahr 2016 noch möglich[2]. So viel zum Thema alle sind gleich, manche aber gleicher.

    Nachsatz: wenn die Problemfälle wirklich überwiegend bestimmte ethnische Minderheiten in Rumänien und Bulgarien sein sollten, würde ich mir wünschen, dass die EU-Kommission diesen Ländern Druck macht, dass Diskriminierung und prekäre Lebensverhältnisse dieser Minderheiten beseitigt werden.

    [1] www.spiegel.de/wir...-ab-a-1222494.html



    [2] taz.de/Kommentar-K...ndergeld/!5280255/