Kommentar Jamaika-Sondierungen: Ein Echo altdeutscher Staatsfixierung
Die Ungeduld mit den Sondierungen zeigt, wie obrigkeitshörig und konsumistisch deutsche Wähler denken. Doch Jamaika braucht Zeit.
D eutschland hat allerlei liberale Dehnungsübungen hinter sich. Der Untertan als role model hat in der Bundesrepublik ausgedient. Die autoritäre Fixierung auf den Staat ist seit langem porös geworden.
Doch manchmal wird dieses Erbe noch sichtbar. Derzeit zum Beispiel in der wachsenden Ungeduld gegenüber den Jamaika-Verhandlern. Manche wollen offenbar einfach nur regiert werden. Und das sollen die da oben gefälligst regeln.
In dieser Haltung mischt sich das Echo altdeutscher Fixierung auf den Staat mit einer modernen konsumistischen Attitüde: Eigentlich möchte man von Politik, erst recht von Streit, verschont werden. Angela Merkel hat diese Stimmung 12 Jahre lang geschickt bedient. Sie verkörperte das Versprechen, das Publikum nur im Notfall zu behelligen. Merkels betont pragmatischer Stil kam der Mixtur aus beiden Haltungen entgegen.
Nun schaut das Publikum mit wachsender Verdruss auf die Jamaika- Sondierungen. Nachtsitzungen, Vertagungen, Zwist – das gab es bisher nur, wenn Merkel in Brüssel verhandelte. Aber doch nicht bei uns, im ordentlichen, aufgeräumten Berlin.
Dabei tun die Verhandler von Grünen und FDP, von CDU und CSU derzeit nur das, was nötig ist. Sie suchen schon in den Sondierungen nach Kompromissen. Und das ist, auch wenn man die Taktik davon abzieht, schwierig. Die Grünen bestehen zu Recht auf dem Familiennachzug von Flüchtlingen, was die CSU, aus Angst vor der AfD und der Landtagswahl in Bayern 2018, partout nicht will. Auch bei Kohleausstieg, Steuerpolitik und Europa gibt es teils heftige Unterschiede. Das 61-seitige, in vielem sehr detaillierte Jamaika-Papier, das neben viel Dissens auch einigen Konsens enthält, zeigt: Diese Sondierungen sind schon halbe Koalitionsverhandlungen. Und so etwas dauert eben.
Richtig ist, dass Union und FDP aus rein taktischem Kalkül anfangs viel Zeit verplempert haben. Die Union hat, ohne dass es ihr etwas genützt hat, die Niedersachsen-Wahl abgewartet, die FDP mit pubertärer Kraftmeierei den Betrieb aufgehalten. Aber jetzt geht es um die entscheidenden Fragen.
Am Ende wird es wahrscheinlich eine Einigung geben. Und erkennbar ist, bei aller Vorläufigkeit, was diese Jamaika-Regierung sein wird. Wenn man die Sondierungsprosa liest, fällt auf, dass der Schwung fehlt. In der Präambel finden sich noch mehr Phrasen, als in diesem Textgenre ohnehin üblich. FDP- Chef Lindner, der bisher seine Skepsis wie eine Monstranz vor sich her trug, redet neuerdings davon, dass Jamaika ein „historisches Projekt“ sei. Davon merkt man in den Konsenspassagen des Papiers nichts. Das Soziale beschränkt sich auf eine Kindergelderhöhung, befristete Jobs werde nicht angetastet und die Idee, Selbstständige mit der Riester-Rente zu beglücken, hat den Charme, Habennichtsen eine bankrotte Bank zu schenken.
Die Peitsche, die am Ende wohl doch zusammenzwingen wird, was nicht unbedingt zusammengehört, heißt Neuwahl. Denn die wäre nicht leicht zu begründen. Sie würde als Versagen der politischen Mitte begriffen und wohl nur der AfD nutzen.
Jamaika richtig bebildern
Auch zur Neuwahl gäbe es eine Alternative: eine von Merkel geführte Minderheitsregierung, die sich ihre Mehrheiten bei FDP, Grünen und SPD holen muss. In anderen Demokratien ist das ein übliches Modell. Und oft sind Minderheitsregierungen mit einer erfreulichen Belebung des Parlaments verbunden, das von einer Abstimmungsmaschine zum Ort politischer Entscheidungsfindungen wird. Doch hierzulande gilt eine Minderheitsregierung als Indiz von Schwäche, Chaos, Zerfall.
Auch das ist ein Echo des autoritären, altdeutschen Erbes.
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