Kommentar Flüchtlingsfrage: Mitleid mit Sigmar Gabriel
Sigmar Gabriels Versuch, sich in der Flüchtlingsfrage irgendwo zwischen Seehofer und Merkel zu positionieren, ist Ausdruck reiner Verzweiflung.
D ie politische Debatte hat sich in den vergangenen Monaten nach rechts bewegt. Selbst die Frontfrau der Linkspartei und manche Grüne klingen plötzlich wie die CSU, und die schlägt immer schrillere Töne an. Doch dieser Rechtsruck wird kaum verhindern, dass die AfD im März in die nächsten Landesparlamente einzieht – und 2017 vermutlich auch in den Bundestag.
Deutschland vollzieht damit eine Entwicklung nach, die andere Länder in Europa längst hinter sich haben. Fast überall in Westeuropa hat sich eine rechtspopulistische Partei etabliert, die das alte Nachkriegskräfteverhältnis mit seiner Links-rechts-Balance zwischen Sozialdemokraten und Konservativen aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Rechtspopulisten sind vielerorts zur dritten Volkspartei aufgestiegen – wenn nicht, wie in der Schweiz, sogar zur stärksten Kraft.
Konservative drohen dabei zwischen diesen neuen Polen zerrieben zu werden – so wie in Österreich, wo sie in der Großen Koalition im Bund nur noch den Juniorpartner stellen und bei der Stadtratswahl in Wien im vergangenen Herbst sogar unter 10 Prozent abgestürzt sind. Und in Frankreich ist es fraglich, ob es ein konservativer Kandidat (Sarkozy?) in die nächste Präsidentenstichwahl schafft.
Im Vergleich dazu stehen die Konservativen hierzulande noch recht gut da – allen aktuellen Querelen zwischen Seehofer und Merkel zum Trotz. Denn die Union ist in den letzten Jahren weit nach links gerückt und als Scharnierpartei in alle Richtungen koalitionsfähig. Das wahre Problem hat die SPD, die von Merkel an die Wand gedrückt wurde. Weil eine linke Mehrheit im Bund in immer weitere Ferne rückt, bleibt nur die Aussicht, in einer Großen Koalition für immer an die Union gekettet zu bleiben – und das auch nur als Juniorpartner.
Sigmar Gabriels Versuch, sich in der Flüchtlingsfrage irgendwo zwischen Seehofer und Merkel zu positionieren, ist Ausdruck reiner Verzweiflung. Das Beste, was ihm passieren könnte, wäre, wenn die Union jetzt Merkel absägen würde, aus Panik über sinkende Umfragewerte. Doch danach sieht es nicht aus: Merkel ist für die Union bislang alternativlos.
Mit dem SPD-Chef muss man deshalb Mitleid haben. In einem Parteiensystem, das insgesamt nach rechts rückt, und angesichts einer Union, die ihm mit ihrem Richtungsstreit die Schau stiehlt, bleibt ihm nur eine Nebenrolle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann