Kommentar „Fake News“-Opfer Trump: Trump. Moskau. Nutten. Pippi.
Bei den obszönen Gerüchten über Trump spielt es keine Rolle mehr, ob sie stimmen. „Fake News“ können offenbar in jedem Lager wirken.
S chon gehört? Im Keller der Pizzeria Comet Ping Pong in Washington befindet sich die Zentrale eines Kinderpornorings, in den – jetzt kommt’s! – auch Hillary Clinton verwickelt ist. Als „Pizzagate“ war diese Verschwörungstheorie ein besonders bizarrer Querschläger der üblichen Schlammschlacht während des US-Wahlkampfs. Und sie hielt sich hartnäckig – nicht obwohl, sondern weil sie so bizarr war: Hillary. Washington. Kinderporno. Pizza.
Das Gerücht griff in anfälligen Kreisen epidemisch um sich. Sogar Michael T. Flynn, designierter Trump-Berater in Fragen der nationalen Sicherheit, verbreitete es über Twitter. Wer sich zugutehielt, noch halbwegs bei Trost zu sein, konnte über dieses Maß an Idiotie nur den Kopf schütteln. Als wäre „das Internet“ eine seriöse Quelle! Wie kann man nur etwas so Absurdes glauben?
Jetzt wissen wir es. Denn in Moskau hat Donald Trump ein paar Prostituierten dabei zugeschaut, wie sie auf das Hotelbett pinkelten, in dem zuvor das Ehepaar Obama genächtigt hatte – und wurde dabei vom russischen Geheimdienst gefilmt. Trump. Moskau. Nutten. Pippi. Schon gehört? Wir sehen ihn förmlich vor uns, den Mann mit den goldenen Haaren und dem goldenen Teint, wie er die erfrischend abseitige Sexualpraktik der „goldenen Dusche“ genießt.
Eine Behauptung, so erregend obszön, dass es keine Rolle mehr spielt, ob wir sie glauben oder nicht. Hat uns Trump nicht gelehrt, ihm alles zuzutrauen? Während der Kopf noch „Vorsicht! Fake News!“ flüstert und sich fragt, seit wann Buzzfeed eine seriöse Quelle ist, hat der Bauch die Geschichte längst für bare Münze genommen und in Umlauf gebracht. Einfach, weil sie so bizarr ist. Es wird schon etwas dran sein. Und wenn nicht, schadet es dem Richtigen. Eine Lehre aus dieser Affäre könnte sein, dass „Fake News“ in jedem politischen Lager eine verheerende Wirkung entfalten können.
Es lohnt, in sich hineinzuhorchen. An meinen ganz eigenen, spontanen und viszeralen Reaktionen auf Bullshit wie „Pizzagate“ oder „Peegate“ kann ich mehr als nur ablesen, auf welcher Seite ich stehe. Ich kann erkennen, ob ich bereits selbst mit dem Virus der „postfaktischen“ Pest infiziert bin. Wahrlich, die Versuchung ist groß. Wer aber dergleichen begeistert glaubt und verbreitet, dem nützt auch kein ironisches Augenzwinkern mehr. Den hat’s erwischt.
Vorerst auf der sicheren Seite ist, wer sich ekelt vorm eigentlichen Dreck der angeblichen „Nachricht“. Der besteht in ihrem Zweck, selbst professionelle Beobachter in infantile Gaffer zu verwandeln – und sei es auch nur für die wenigen Sekunden, die es braucht, um einen Tweet abzusetzen und damit den Pegel der Kloake eigenhändig noch ein wenig zu erhöhen, in der jede ernsthafte Debatte unterzugehen droht.
Ist der künftige US-Präsident erpressbar? Wie sieht es mit seinen Geschäftsbeziehungen aus? Eine Mauer zu Mexiko, wirklich? Was sind seine Absichten in der Sicherheits-, Wirtschafts- oder Umweltpolitk? Wenn nun schon aber als Nebelkerzen eingesetzte Stinkbomben dazu führen, dass wir wichtige politische Fragen aus den Augen verlieren, dann blüht uns Schlimmeres als Oligarchie oder Diktatur.
Dann droht uns die Idiokratie.
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