Kommentar EU-Wahl in Ostdeutschland: Wir sind ein Land. Ihr ein anderes
Die Europawahl zeigt erneut, dass das Misstrauen gegen die als westdeutsch empfundene Parteiendemokratie noch immer groß ist. Aber es gibt Hoffnung.
D eutschland ist geteilt. Der Osten ist im innerdeutschen Vergleich rechter, demokratieferner; der Westen liberaler und weltoffener. Bei der Europawahl haben die WählerInnen in Brandenburg und Sachsen die rechtspopulistische AfD zur stärksten Partei gekürt. In Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern liegen die Rechten auf Platz zwei hinter der CDU.
Für die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen verheißt das nichts Gutes. Die Botschaft vieler Ostdeutscher lautet: Wir sind ein Land. Und ihr ein anderes.
All die schönen Steuermilliarden konnten nicht heilen, woran der Osten krankt. Dreißig Jahre nach der Wende misstrauen viele – zum Glück nicht alle – Ostdeutsche der Demokratie. Dieses Land ist noch immer nicht ihr Land, dieses politische System eines, das sie meinen, per Stimmabgabe bekämpfen zu können.
Aus dieser verächtlichen Haltung spricht die Erfahrung von sich als Unbeteiligte verstehenden BürgerInnen. Hier, das bin ich – da oben, das ist der Staat. Es ist erschütternd, wie vor allem ältere BürgerInnen eines sich selbst als antifaschistisch verstanden habenden Staates, der DDR, heute einer rechtskonservativen bis rechtsextremistischen Partei, der AfD, die Türen zu ihren Parlamenten öffnen.
Hoffnung gibt es immer
Wenn dieser Sommer endet, werden in Brandenburg und Sachsen neue Landesparlamente gewählt, wenig später in Thüringen. Es ist illusorisch, zu meinen, bis dahin könnte „die Politik“ noch was reißen. Die oben erwähnten Soli-Milliarden, sie sind verbaut in tiptop Straßen ins Nirgendwo – dahin, wo die Alten ihrer kommoden Diktatur nachtrauern. Und von wo die Jungen weggehen – dorthin, wo die besser bezahlten Jobs sind. Wo sie etwas anderes finden als eine weiße Mehrheitsgesellschaft, die sich gegen Neues abschottet.
Gibt es noch Hoffnung? Immer. In den Uni-Städten im Osten haben die demokratischen Parteien, vor allem die Grünen, zugelegt. Man kann den Osten ruhig doof finden, unerträglich, nicht zu begreifen. Aufgeben darf man ihn nicht. Wir sind ein Land. Der Osten gehört dazu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht