piwik no script img

Kommentar Brasilien unter Jair BolsonaroDie braune Welle

Kommentar von Gerhard Dilger

Was der Sieg des Rechtsextremisten Jair Bolsonaro für Lateinamerika bedeutet? Das hängt vor allem von der wirtschaftlichen Entwicklung ab.

Überall: Jair Bolsonaro Foto: imago /ZUMA Press

E s ist ein epochaler Einschnitt, der gravierendste seit dem Ende der Militärregimes in Südamerika vor drei Jahrzehnten: Jair Bolsonaro, der Folter befürwortet und den chilenischen Diktator Augusto Pinochet bewunderte, ist von 58 Millionen BrasilianerInnen zum Präsidenten gewählt worden.

Die gefühlte Unfähigkeit der etablierten Politik, mit der Wirtschaftskrise, mit Gewalt und Korruption fertig zu werden, bündelte sich nach einer jahrelangen Medienkampagne in der massiven Ablehnung der sozialdemokratischen Arbeiterpartei PT. Deren Kandidat Fernando Haddad erzielte in der Stichwahl 45 Prozent der Stimmen, der ausgewiesene Rechtsextremist Bolsorano 55. Die Aussichten für Brasilien sind finster.

Wie sich dieser politische Tsunami im größten Land Lateinamerikas auf den restlichen Kontinent auswirkt, bleibt abzuwarten. Noch gilt Bolsonaro, der, US-Präsident Trump nacheifernd, die Wahl auch durch den massiven Einsatz von Fake News auf WhatsApp gewann, als unberechenbar. Er versteht nichts von Außen- oder Wirtschaftspolitik. Offen ist auch, wie sich sein Verhältnis zu Militärs, Unternehmern, Justiz- und Regierungsbürokratie gestalten wird. Und wie stark der Widerstand aus der progressiven Zivilgesellschaft sein wird, die er immer wieder bedroht hat.

Sein wirtschaftspolitischer Guru ist Paulo ­Guedes, der Pinochets ultraliberalen Kurs in den achtziger Jahren aus nächster Nähe studierte, etwa eine radikale Rentenreform ganz nach dem ­Geschmack der Finanzmärkte. Kein Wunder, dass schon vor der Stichwahl die freundlichsten ­Signale aus Chile kamen: Staatschef Sebastián Piñera äußerte sich hoffnungsfroh über eine Vertiefung des neoliberalen Kurses, den der un­populäre rechte Übergangspräsident Michel Temer nur teilweise umsetzen konnte. Bolsonaro will zuerst nach Chile, dann in die USA und nach Israel reisen.

Ein Handelsabkommen mit der EU ist unwahrscheinlich

„Brasilien über alles“ – Bolsonaros Wahlkampfmotto macht deutlich, dass die Ära der regionalen Integration, die Lula da Silva vor einem Jahrzehnt erfolgreich vorantrieb, endgültig vorbei ist. Weder das krisengeschüttelte Argentinien noch die Zollunion Mercosur sind laut dem künftigen Wirtschaftsminister Guedes eine Priorität für Brasilien, Handel treiben wolle man „mit der ganzen Welt“.

Die Zeit der Sozialprogramme, die Millionen aus der Armut geführt hat, ist endgültig vorbei

Ein Handelsabkommen zwischen der EU und dem laut Bolsonaro „überschätzten“ Mercosur – Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay – ist unwahrscheinlicher denn je. Dagegen dürften Brasiliens neue Herrscher die Nähe zu den rechts regierten Ländern Paraguay, Peru und Kolumbien suchen.

Aus Venezuela sind in den letzten vier Jahren 60.000 Menschen nach Brasilien geflüchtet, im Grenzstaat Roraima gab es bereits vor Wochen Attacken von Bolsonaro-Fans. Im Wahlkampf punktete dieser mit dem Hinweis auf die guten Beziehungen zwischen der Arbeiterpartei und den Chavistas in Caracas. In ihrem Bemühen, die Regierung von Nicolás Maduro zu destabilisieren, haben die USA einen Verbündeten gefunden, auch wenn Bolsonaro jetzt eine Militärintervention ausschließt.

Progressive Regierungen nur noch in Bolivien und Uruguay

Die sogenannte rosarote Welle, die in den nuller Jahren Südamerika erfasst hatte, ist Vergangenheit. Ihr Erfolg speiste sich aus sozialer Mobilisierung von unten, vor allem jedoch aus einem anhaltenden Boom der Rohstoffpreise mit enormer Nachfrage aus China, der sich in umfangreichen Sozialprogrammen niederschlug und in Brasilien und anderswo ein Zweckbündnis zwischen Unternehmen und linken Regierungen ermöglichte. Millionen konnten die Armut hinter sich lassen.

Der Widerstand der alten Oligarchien blieb allerdings bestehen. In Bolivien und Ecuador wurden Aufstandsversuche noch entschärft. Doch 2012 wurde Paraguays sozialdemokratischer Staatschef Fernando Lugo durch einen Staatsstreich im Parlament gestürzt, ähnlich wie Dilma Rousseff vier Jahre später in Brasilien. Rechtsstaatlich ebenso zweifelhaft war Lulas Verurteilung und Inhaftierung, durch die seine mögliche Wiederwahl verhindert wurde.

Heute amtieren nur noch in Bolivien und Uruguay progressive Regierungen, und Mexiko, wo demnächst der gegen den Kontinentaltrend gewählte Linke Andrés Manuel López Obrador das Ruder übernehmen wird, ist fern. Hinzu kommt: Die dramatischen Krisen in Venezuela und Nicaragua haben die Idee des Sozialismus nun auch in Lateinamerika gründlich diskreditiert.

Die Stunde der Solidarität

Die im Forum von São Paulo versammelten Linksparteien, von der PT bis zu Kubas Kommunisten, sind weit davon entfernt, die Rückschläge der letzten Jahre selbstkritisch zu analysieren – was im Übrigen mit ein Grund ist für die Katastrophe in Brasilien.

Wie groß deren Sogwirkung in den kommenden Jahren sein wird, hängt maßgeblich von der wirtschaftlichen Entwicklung in Brasilien und dem ganzen Kontinent ab. In Argentinien etwa könnte die sicher geglaubte Wiederwahl des Rechtsliberalen Mauricio Macri 2019 an finanzpolitischen Turbulenzen scheitern – doch eine überzeugende progressive Alternative ist nicht in Sicht.

Bolsonaro wird nun zuerst das Umweltministerium ins Landwirtschaftsministerium eingliedern. Dass Agrarlobby, Waffenfetischisten und militante Evangelikale über eine solide Mehrheit im Parlament verfügen, bedeutet für das Amazonasgebiet und die dort lebenden traditionellen Gemeinschaften ein Desaster. Auch die regionale und globale Umweltpolitik ist in Gefahr – ob die UN-Klimakonferenz in einem Jahr wie geplant in Brasília stattfindet?

Es ist die Stunde der Solidarität: Brasiliens soziale Bewegungen brauchen alle erdenkliche Unterstützung, um die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte verteidigen zu können. Und die demokratische Staatengemeinschaft muss Bolsonaro Grenzen aufzeigen – auch, um zu verhindern, dass Brasiliens braune Welle auf die Nachbarländer übergreift.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Brasilien ist ein schönes Beispiel dafür, wie "Konservative" Faschisten den Weg zur Macht ebnen.

  • Ob der Werte-Westen sich zu Bombenteppichen wie auf Irak, Syrien, Afghanistan, Jemen, Libyen aufraffen wird ?



    Oder wird jetzt klar, wie verlogen der Werte-Westen ist, andere zu bombardiern.



    Oder wie siehts aus mit Sanktionen, bis Lula wieder frei ist ?



    Nein, geht ja nicht, wir sind beim Üben vor Wolgograd /Stalingrad.

    Immerhin wurde der aussichtsreichste Präsidentschafts-Kandidat LULA mit Hilfe der Finanz-Medien-Juztiz-Industrie bis zu seinem Lebensende eingekerkert, obwohl die Vorwürfe längst widerlegt sind.

  • Bolsonaro ist nur eine Marionette der Oberschicht, die die Dilma ,stürzten Lula ins Gefängniss brachten um von ihrer Korruption ab zu lenken.



    B. wird eine Diktatur installieren und alles aus dem Weg schaffen was die Oberschicht stört.



    Mord ist dabei politisch gewollt.



    Wenn alles getan ist werden sie, wie damals bei Dilma, dass “Volk“ auf die Straße schicken und B. verjagen. Ihm wird der Prozeß gemacht und Ruhe ist.



    Das geht nur in einer Diktatur, eine Parlament wäre störend und hätte eine Mitschuld, was nicht gewollt ist, weil es sie selbst treffen könnte