Kolumne Macht: Scheitert, bitte
Es wäre eine gute Nachricht, wenn die Jamaika-Sondierungen platzten. Zu Neuwahlen oder einer Staatskrise muss das nicht führen.
P lötzlich gibt es wieder Hoffnung. Vielleicht hat sie sich schon zerschlagen, wenn diese Kolumne veröffentlicht wird, aber es scheint derzeit immerhin möglich, dass die Jamaika-Sondierungen endgültig scheitern. Das wäre eine gute Nachricht. Und, nein: Das hat nichts mit einer Freude an Neuwahlen und Staatskrise zu tun, sondern ganz andere Gründe.
Wieso eigentlich Neuwahlen und Staatskrise? Die Tatsache, dass die Partner der bisherigen Großen Koalition keine Lust mehr aufeinander haben, ist zwar nachvollziehbar, aber kein legitimer Grund, uns alle erneut an die Urnen zu rufen. Schließlich haben die Jamaika-Partner auch keine Lust aufeinander. Wer die bisherige Regierung für lust- und kraftlos hielt, wird die tiefere Bedeutung dieser Wörter erst erfahren, sollten die Sondierungsgespräche doch erfolgreich sein.
Bizarr ist es, wenn der SPD-Vorsitzende Martin Schulz nun meint, die Verhandlungsführer der Konkurrenzparteien ermahnen zu dürfen. Absurd wird es, wenn er einerseits fordert, die Sondierer sollten endlich „zu Potte“ kommen und andererseits erklärt, dass eine Jamaika-Koalition wohl Europa schweren Schaden zufügen werde. „Es ist zu befürchten, dass die Bundesrepublik in der EU keine Rolle mehr spielen wird, weil sie nicht handlungsfähig ist.“
Was denn nun? Eile tut not, damit Europa möglichst schnell möglichst schwerer Schaden zugefügt werden kann? Hm.
Groko statt Jamaika
Vielleicht würde die SPD sich im Falle eines Scheiterns der Jamaika-Gespräche ja doch besinnen und einen Praktikanten oder eine Praktikantin im Willy-Brandt-Haus mit der Abfassung einer Pressemitteilung beauftragen, die Verhandlungen über eine neuerliche Große Koalition einleitet. Das wäre eine ziemlich einfache Aufgabe. Es würde genügen, „Verantwortung“ und „Staatskrise“ sowie „gerecht werden“ und „vermeiden“ wie Puderzucker über den Text zu streuen.
Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Sinnvoll wäre das auch, weil keine andere Partei so viel Grund hat wie die SPD, Neuwahlen zu fürchten. Wer soll denn für sie in die Schlacht ziehen? Schulz? Scholz? Nahles? Oder – ja, es gibt ihn noch – Sigmar Gabriel? Klingt derzeit alles nicht gut. Die Partei hätte nicht genug Zeit, sich auf eine neue Führungspersönlichkeit zu einigen.
Dann doch lieber Textbausteine zusammensetzen. Und eine weitere Große Koalition vorbereiten. Meine Begeisterung hält sich in Grenzen. Warum fände ich es trotzdem besser als Jamaika oder Neuwahlen? Weil mir gefällt, wenn sich nach Jahrzehnten nur scheinbaren Parteienstreits herausstellt, dass es eben doch nicht „egal“ ist, welche Partei gewählt wird.
Der alte Systemkonflikt – soziale Marktwirtschaft versus Sozialismus mit menschlichem Antlitz – wird seit dem Mauerfall nicht mehr ausgetragen. Aber es gibt eben neue Konflikte. Zum Beispiel den, ob man meint, Globalisierung am besten durch Abschottung begegnen zu können – CSU und US-Präsident Donald Trump – oder, wie die Grünen, durch Integration.
Das ist kein fein ziselierter Sachstreit. Das ist eine Grundsatzfrage. Sie kann neues Vertrauen in die Prinzipientreue von Grünen wecken, wenn nämliche ein humanitäres Anliegen wie das Recht auf Familiennachzug nicht auf dem Altar der Machtbeteiligung geopfert wird.
Die Autorin hat die Grünen seit dem aus ihrer Sicht völkerrechtswidrigen Kosovokrieg nicht mehr gewählt. Sollten die Jamaika-Sondierungen an der Migrationspolitik scheitern, dann käme sie in Versuchung. Nein, Neuwahlen müssten nicht zwangsläufig der extremen Rechten nutzen. Das Vertrauen in traditionelle Parteien könnte sogar gestärkt werden. Auf geht’s. Scheitert, bitte!
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