Kolumne Die eine Frage: Widerstand gegen Grüne und Kinder
Warum definieren sich die FDP und alle anderen Parteien über ihre Differenz zu Annalena Baerbock und Robert Habeck?
E in Land wächst mit seinen Menschen, das ist doch ein schöner Gedanke. Mit diesem Parteitagsclaim im Rücken bewirbt sich Wolfgang Kubicki in der „Station“ zu Berlin-Kreuzberg für die Wiederwahl als stellvertretender Vorsitzender der FDP. Es wird eine lieblos heruntergeratterte 08/15-Tirade gegen die Grünen und ihren Bundesvorsitzenden Robert Habeck.
Als deren Klimax verzwergt sich Kubicki vollends selbst, als er mit routiniert erhobener Stimme ruft: „Weder der Staat noch meine Frau werden mir jemals verbieten, ein Steak zu essen.“ Witzig. Man denkt automatisch: Och, der Arme, von wem droht ihm das Verbot denn? Vom Staat ja nun definitiv nicht.
Das ist ein subjektiver Eindruck, aber die FDP wirkte auf mich spannungslos und manchmal fast hilflos in ihrer Fixierung auf die kleinste Oppositionspartei im Deutschen Bundestag als größten Gegner – knapp vor oder nach den für ihre Zukunft demonstrierenden Kindern.
Christian Lindners Projekt Wiederaufbau ist dahingehend nachhaltig geworden, dass man stabil bei 8 bis 9 Prozent steht. Das ist aller Ehren wert. Aber was jetzt?
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Gerade war der FDP-Vorsitzende noch der interessanteste Politiker für die bereits angebrochene Zeit nach dem Ende des Volksparteien-Dualismus. Robert Habeck war ein unbekannter Energiewende-Minister in Schleswig-Holstein. Jetzt kennt die eine Hälfte der Leute Habeck immer noch nicht, aber die andere kann ihn sich als Bundeskanzler vorstellen.
Ob sie das nun herbeisehnen oder beim Gedanken abkotzen: Das Neue besteht darin, dass ein grüner Kanzler Habeck als realistisches Zukunftsszenario erscheint. Kanzler Lindner? Stand jetzt: Never. Wie kommt das?
Interessanterweise war es klassischen Linken und Grünen stets fremd, sich als Teil einer Mehrheit der Verschiedenen sehen zu können. Sie sehen sich im aufrechten Empörungszustand gegen die stets stulle Mehrheit oder träumen von einer (von ihnen) patriarchalisch geführten Gesellschaft.
Diese Kultur haben die Grünen in den Ländern durch Verantwortungspolitiker wie Kretschmann, Palmer, Al-Wazir, Fegebank oder Heinold überwunden. Weil sie eben keine Klientelpolitik machen, sondern normale Leute sich repräsentiert sehen.
Erratisches Rufen
Das ist die Kraft, die auch Annalena Baerbock und Habeck Richtung 20 Prozent schiebt: Dass sich Leute aus dem demokratischen Mainstream gemeint fühlen, die eben nicht Minderheiten-Grüne im alten Sinne sind. Wenn sie sich so umschauen, was im politischen Angebot ist, bleiben sie bei Kretschmann, Baerbock und Habeck hängen, dem Wohlstands-Fortsetzungsversprechen einer sozialökologisch transformierten Marktwirtschaft und ihrem Vorschlag, das gemeinsam anzugehen.
Liberal sind derzeit weder Grüne noch FDP, aber während die Grünen mit ihrem neuen Verständnis auf das Ganze zielen, hat sich der Fokus der FDP darauf reduziert, ökosoziale Zukunftstastbewegungen anzugreifen. „Wer die Welt retten will, muss nicht grün wählen, sondern ganz im Gegenteil“, rief EU-Wahl-Spitzenkandidatin Nicola Beer etwas erratisch in der „Station“.
So geht es ständig. Die Freien Demokraten definieren sich wie auch Union, SPD, Linkspartei und AfD über ihre Differenz zu Baerbock und Habeck. Die frühere Verantwortungspartei FDP repräsentiert zu oft auf Pennälerniveau eine kleine Empörungsklientel, die sich mit einem larmoyanten Klage-Kanon (Grüne, Kinder, Chinesen, Ehefrauen, Altmaier) gegen den Aufbruch von Mainstream-Gesellschaft und Wirtschaft stemmt.
Das kann nicht ihr letztes Wort sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist