Koalitionsvertrag in Berlin: An die Regierung geböllert
Silvester hallt nach: In der Sicherheitspolitik setzt sich die CDU auf ganzer Linie durch. Die SPD bekommt relativ viele Regierungsposten.
N ach mehr als 20 Jahren wird Berlin in Kürze wohl wieder von der CDU regiert. Am Montag stellte Landesparteichef Kai Wegner den mit der SPD ausgearbeiteten Koalitionsvertrag vor: Das 135 Seiten starke Werk, vollmundig überschrieben mit „Das Beste für Berlin“, ist ein Sammelsurium aus Absichtserklärungen, ein paar progressiven Ansätzen und reaktionären Knallern.
Letztere beziehen sich vor allem auf die Innen- und Sicherheitspolitik. Mehr Personal für die Polizei und eine stärkere Ausrüstung obendrauf, darunter Elektroschocker und „flächendeckend“ Bodycams, drastische Ausweitung der Videoüberwachung, Staatstrojaner und die Verlängerung des Präventivgewahrsams auf fünf Tage: Das sind schon fast bayerische Verhältnisse im linken Berlin.
Kai Wegners Taktik hat damit auf ganzer Linie Erfolg. Zu Jahresanfang noch galt der 50-Jährige als aussichtsloser Kandidat. Doch in der Debatte über die Silvesterrandale in Berlin mit Angriffen auf Polizei und Feuerwehr bedienten er und die CDU rassistische Ressentiments. Das verfing bei überraschend vielen Wähler*innen. Nun kann er seine Forderungen nach mehr Überwachung und restriktiver Sicherheitspolitik umsetzen: Wegner böllert sich an die Macht. Entschuldigt hat sich der wahrscheinliche nächste Regierende Bürgermeister für diese Entgleisungen nie. Am Montag bezeichnete er sie lapidar als Wahlkampfgetöse und bekannte sich zu Berlin als „Stadt der vielen“. Das war er der SPD schuldig.
Nicht nur das: Die Sozialdemokraten haben viele eigene Punkte durchgesetzt, inhaltlich und personell – was auch nötig ist, denn die Basis muss der Koalition per Mitgliederentscheid noch zustimmen. So stellt die SPD genauso viele Regierungsmitglieder wie die CDU, trotz eines deutlich schlechteren Ergebnisses. Die Union lässt sich die ersehnte Rückkehr ins Rote Rathaus also etwas kosten.
Freie Fahrt für Autofahrer
Auch im wörtlichen Sinne. So haben beide Parteien ein 10 Milliarden Euro starkes Sondervermögen für Klimaschutz vereinbart. Damit soll die Stadt bei dem Thema bundesweit eine Vorreiterrolle einnehmen. Doch Wegner und Co. haben nicht wirklich verstanden, wie Klimaschutz funktioniert. Anreize statt Verbote sei der Ansatz. Das heißt zum Beispiel: freie Fahrt für alle Autofahrer, die sich das noch leisten können. Klimaschutz soll offenbar niemanden stören.
Während also der Staat bei Sicherheitsfragen durchgreifen soll, zieht er sich beim Klimaschutz zurück. Beides ist leider Ausdruck fehlenden Mutes. Doch den bräuchte es, um die Stadt nach vorne zu bringen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Treffen in Riad
Russland und USA beschnuppern sich vorsichtig