Koalitionsvertrag für Bremen: Rot-Grün-Rot trifft sich am Grill
SPD, Grüne und die Linkspartei haben sich auf einen neuen Koalitionsvertrag für Bremen verständigt. Kitas und Schulen sollen „höchste Priorität“ haben.
Vertreter:innen aller drei Parteien erwähnten bei der Vorstellung des 169-seitigen Vertrags immer wieder die Gemeinsamkeiten, die sachgerechten politischen Lösungen und die vertrauensvollen Gespräche – sogar zusammen gegrillt haben sie, wie Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) erzählte. Sie wird nicht mehr für Arbeit zuständig sein, dafür von nun an auch für die Häfen. Weil die vor allem in der Seestadt sind, gilt das Ressort auch als Bremerhaven-Ministerium und war bisher eine Domäne der SPD.
Aktive Industrie- und Wirtschaftspolitik
Inhaltlich sollen die Kinderbetreuung und die Bildungspolitik „hohe Priorität“ in der neuen Landesregierung bekommen, sagte der SPD-Landesvorsitzende Reinhold Wetjen. Dazu gehört neben der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz ein verpflichtendes Kita-Jahr vor der Einschulung – für alle Kinder mit Sprachförderbedarf.
Auch der Ausbau der Doppelbesetzung von Grundschulklassen und der Schulsozialarbeit sowie der Ganztagsschulen wurde beschlossen. Zudem sollen die Ausbildungskapazitäten für Erziehungsberufe „mindestens verdoppelt“ werden. Umsetzen muss all das wahrscheinlich die schon jetzt zuständige Sascha Aulepp (SPD), die ihren Posten bisher eher unauffällig versehen hat. Der im Vergleich zu anderen Ländern schlechte Zustand des bremischen Schulsystems war von vielen Wähler:innen beklagt worden.
Bürgermeister Bovenschulte betonte das Bekenntnis zu einer aktiven Industrie- und Wirtschaftspolitik. Dazu gehört die Umstellung der bremischen Stahlproduktion auf Wasserstoff, ein Gewerbeflächensofortprogramm und die nochmalige Vertiefung der Außenweser zwischen Brake und Bremerhaven.
Auch in die Häfen soll massiv investiert werden – unter anderem planen die drei Koalitionspartner einen „Energy Port“ an der Nordseeküste. Als „Offshore Terminal Bremerhaven“ (OTB) war das Vorhaben 2019 schon mal vor Gericht und am Widerstand der Naturschutzverbände gescheitert. Der Schwerguthafen für Windpark-Komponenten auf dem Meer sollte zunächst 2013 gebaut werden. Für den Umschlag von Wasserstoff, die Produktion umweltfreundlicher Treibstoffe oder Batterien, die Montage von Bauteilen für Windräder und das Recycling ausgedienter Anlagen soll nun am Weserdeich ein neuer Hafen entstehen. Insgesamt möchte das Bundesland bis 2038 klimaneutral werden. Dafür werden 2,5 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen.
Die Grünen stellen mit dem bisherigen Fraktionschef Björn Fecker zwar den Finanzsenator und stellvertretenden Ministerpräsidenten. Sie verlieren aber das Sozialressort und auch die Zuständigkeit für Bau-, Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik an die SPD. Vier der bisherigen Spitzenvertreter:innen der Grünen zogen sich nach der Wahlschlappe zurück, die neue grüne Umwelt- und Wissenschaftssenatorin Kathrin Moosdorf ist bisher Geschäftsführerin des Bremer Kinderschutzbunds und war nicht in der Landespolitik aktiv – früher war sie mal Bundesgeschäftsführerin der Naturschutzjugend.
Konstituierenden Sitzung am Samstag
Die scheidende grüne Landesvorsitzende Alexandra Werwath betonte den „Geist pragmatischer Politik“, die „sozialverträglich“ und für die Bürger:innen „verlässlich planbar“ sein soll. Statt um große Projekte wie die autofreie Innenstadt geht es den Grünen nun darum, „umzusetzen, was möglich ist“, so Werwath. Außerdem betont die Partei, wie sehr sie die „Menschen mitnehmen“ wolle. Dass ihr das in der Vergangenheit nicht gut gelungen ist, wird nicht nur der Bundespolitik, sondern auch der Spitzenkandidatin Maike Schaefer angelastet.
„Wir holen uns mehr Probleme ins Haus“, sagt unterdessen der Landessprecher der Linken, Christoph Spehr. Denn seine Partei verantwortet nicht nur den vom BUND als rechtswidrig eingestuften Energy Port und muss die hochverschuldeten, seit Jahren angeschlagenen kommunalen Kliniken sanieren. Sie wird zudem für Gesundheit, Gleichstellung, den Verbraucherschutz und auch noch für die Pflege zuständig sein. Nominiert dafür ist amtierende Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard, deren Politik in der Pandemie große Zustimmung bekommen hat. „Das ist ein großer Sack Aufgaben“, sagt Spehr.
Die SPD erhält die Ressorts für Inneres und Sport, Kinder und Bildung sowie Arbeit, Soziales und Justiz und Bau, Stadtentwicklung und Verkehr. Ihre Senator:innen will sie, anders als Linke und Grüne, aber erst am Donnerstag benennen.
Die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen müssen nun noch von Parteitagen abgesegnet werden. SPD und Grüne kommen am Samstag zusammen, die Linke trifft sich am Sonntag. Am Donnerstag kommt die Bürgerschaft zur konstituierenden Sitzung zusammen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz