Koalitionsverhandlungen in Berlin: Gegenverkehr bei der S-Bahn
Bei den Sondierungen haben sich SPD, Grüne und Linke geeinigt, die S-Bahn zu kaufen, so die Linke. Das wäre ein Absage an die grüne Verkehrssenatorin.
Dem hielt Schatz, der bei den Sondierungen dabei war, entgegen, dass noch mehr verabredet wurde, als sich in dem Papier finde. Seine Erklärung zum Fehlen dieser Passage: Die schriftliche Fixierung des Plans könnte angesichts der Ausschreibung für zwei von drei Teilstrecken der S-Bahn zu rechtlichen Problemen führen und Klagen von Mitbewerbern ermöglichen.
Denn ein angestrebter Kauf der S-Bahn Berlin GmbH, die derzeit ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG ist, würde diese Ausschreibung wohl überflüssig machen. Das wiederum wäre ein großer politischer Erfolg für die Berliner Linke: Das Thema war auf jedem Parteitag der vergangenen Jahre deutlich präsent. Die Linke befürchtet durch die Zerschlagung des Monopols der S-Bahn unter anderem schlechtere Arbeitsbedingungen und Bezahlung der Mitarbeiter*innen.
Doch trotz des vehementen Widerstands auch aus Teilen der SPD konnte die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther das im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag von 2016 vereinbarte Vergabeverfahren vor einem Jahr starten. Nach Auskunft des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) gibt es mehrere Interessenten. Die Senatsverwaltung für Verkehr erklärte am Mittwoch auf taz-Anfrage, dass „auf Bitten von Bewerbern die Frist zur Abgabe der Angebote auf den 2. November 2021 verschoben“ wurde.
Entscheidung bis Ende 2022
Bis Ende kommenden Jahres soll die Entscheidung fallen über die Vergabe für die Nord-Süd-Strecken und die Linien, die in Ost-West-Richtung über das Stadtbahn-Viadukt laufen. Gesucht werden Betreiber für die Zeit von 2027 bis 2042 sowohl für den Fahrbetrieb wie auch die Instandhaltung der Fahrzeuge auf beiden Teilstrecken. Denn das Land kauft im Rahmen dieser nach Angaben der Senatsverwaltung größten Ausschreibung der Berliner S-Bahn-Geschichte rund 1.300 neue S-Bahn-Wagen selbst und überlässt sie den Unternehmen zur Nutzung.
Die komplizierte Ausschreibung ist eine Folge des S-Bahn-Chaos der nuller Jahre, als das Unternehmen jahrelang mangels Wartungskapazitäten nur einen Teil der nötigen rund 1.200 Doppelwaggons einsetzen konnte. Entsprechend viele Verbindungen fielen aus oder waren überfüllt – zum Ärger der Berliner Kund*innen.
Da die Berliner S-Bahn ein einzigartiges Schienensystem nutzt, war es für andere Unternehmen bislang nicht attraktiv, als Konkurrenten aufzutreten. Dem Land blieb letztlich nichts anderes üblich, als immer wieder die bahneigene S-Bahn GmbH als Betreiberin der Strecken zu beauftragen.
Hoffen auf eine Machtverschiebung im Bund
Mit ihrer Ausschreibung zielt die grüne Verkehrssenatorin genau darauf, das Monopol der Deutschen Bahn zu brechen. Denn bislang hat das staatseigene Unternehmen auch alle Kaufangebote des Landes Berlin abgelehnt. Bei der Linken hofft man nun offenbar darauf, dass durch die Machtverschiebung im Bund und im fortan nicht mehr CSU-geführten Verkehrsministerium der Druck auf die Deutsche Bahn wächst, einem Verkauf an das Land zuzustimmen.
Andere Teilnehmer*innen der Sondierungsgespräche zwischen SPD, Grünen und Linken äußerten sich am Mittwoch mit Bezug auf das eigentlich zwischen allen Beteiligten vereinbarte Stillschweigen nicht zu Carsten Schatz’ Aussage. Die Senatsverwaltung für Verkehr erklärte, man könne zu Sondierungen von Parteien keine Stellungnahme abgeben.
Von den Linken hieß es, man wolle die aktuelle Ausschreibung auf keinen Fall stoppen. In den Facharbeitsgruppen der Koalitionsverhandlungen soll nun über das Thema gesprochen werden. Bis sie zu einem Ergebnis gelangen, wird auch klar sein, ob es neben der Deutschen Bahn weitere Bewerber für den Betrieb der S-Bahn gibt. Falls das nicht der Fall sein sollte, wäre eine Kommunalisierung auch wieder eine öffentlich vertretbare Position.
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