Klimaklage gegen RWE: Prozess in der Schwebe
Zwei Prozesstage gingen am Montag und Mittwoch ohne Urteil zu Ende. Denn der Fall zeigt, wie schwierig es ist, Wissenschaft und Recht zusammenzubringen.

Über Huaraz, wo Lliuya lebt, schmilzt ein Gletscher aufgrund der Erderhitzung in einen See. Schon 1941 ist dieser See übergelaufen, hat eine Schlammwelle ausgelöst und Huaraz zerstört. Tausende starben damals. Heute sind die Schutzwälle weit besser, aber der Klimawandel verändert die Region und lässt den Wasserstand des Sees steigen.
Lliuya will, dass RWE für Schutzmaßnahmen in Huaraz bezahlt. Damit ist die Klage die erste ihrer Art, weil es nicht um die Einhaltung von Klimazielen geht, sondern um konkreten Schadensersatz. Sollte Lliuya gewinnen, könnten auch andere Leute fossile Konzerne auf Schadensersatz verklagen. CO2 auszustoßen würde plötzlich sehr, sehr teurer.
RWE argumentiert, dass das Oberlandesgericht seine Verantwortung überschreitet, weil für Kompensationen wegen CO₂-Ausstoßes der Bundestag zuständig wäre. Außerdem könne jede*r Autofahrer*in mit einem Verbrenner vor Gericht gestellt werden, wenn das Gericht dabei bleibt, dass die Klage zulässig ist.
RWE schüre Angst, so der vorsitzende Richter
Dem widersprach der vorsitzende Richter Rolf Meyer aber gleich zu Anfang der Verhandlungen am Montag. Der CO₂-Ausstoß von Einzelnen sei ungleich niedriger als der von RWE und nicht annähernd groß genug, um zu einer Verurteilung zu führen. RWE schüre Angst, sagte Meyer, und das führe nie zu etwas Gutem.
Dass das Gericht die Klage überhaupt angenommen hat, wertet Roda Verheyen als Erfolg. Sie ist Klimaanwältin, war unter anderem am Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts 2021 beteiligt, und vertritt Lliuya. Richter Meyer hat auch noch einmal bestätigt, dass die Kette von RWEs CO₂-Emissionen zum wachsenden Gletschersee nicht zur Debatte steht. „Im Prinzip haben wir schon gewonnen“, sagte Verheyen. „In jedem Fall wird das Urteil beinhalten, dass große Emittenten für ihre Verantwortung am Klimawandel vor Gericht gezogen werden können.“
Während der zwei Verhandlungstage ging es darum, ob das Risiko für Lliuyas Haus groß genug ist, um RWE zu verurteilen. Der Fall sei auch deswegen so interessant, sagte Meyer in seinen Anfangsbemerkungen, weil der Schaden an Lliuyas Haus nur droht und noch nicht eingetreten ist.
Fokus des Gutachtens lag auf Eislawinen vom Gletscher
Die Richter*innen befragten deshalb über die zwei Verhandlungstage den von ihnen bestellten Sachverständigen Rolf Katzenbach, Professor für Geotechnik an der Technischen Universität Darmstadt. Sein Gutachten kam zu dem Schluss, dass das Flutrisiko für Lliuyas Haus in den nächsten 30 Jahren bei einem Prozent liege, einmal in 3000 Jahren eintrete. Selbst in diesem „praktisch unmöglichen“ Fall komme es nur zu einer Überflutung von 20 Zentimetern Höhe in Schrittgeschwindigkeit.
Das Felsmaterial um den See, Batholith, sei außerordentlich stabil und werde deswegen nicht abbrechen, sagte Katzenbach. Die Felsnase an einem Ende des Sees habe zum Beispiel schon viel durchgemacht: Zuerst sei sie von Gletschereis bedeckt gewesen, das sich dann zurückgezogen habe, danach habe sie jahrelang an der freien Luft gelegen, „und sie steht wie eine Eins“. Der Fokus des Gutachtens lag deswegen auf Eislawinen vom Gletscher.
Das Gutachten der Klägerseite, verfasst von der renommierten kanadischen Bauberatung BGC, sieht dagegen ein Risiko von 30 Prozent über die nächsten 30 Jahre. Es bezieht Felsstürze mit ein, weil BGC davon ausgeht, dass der schmelzende Permafrost in den Anden das Batholith erheblich instabiler macht. Das sei übertrieben, glaubt Katzenbach, weil kein Auftauen des Permafrosts zu erkennen sei und der Einfluss des Permafrosts vom BGC-Gutachten überschätzt werde.
„Fassungslos“ mache sie das, sagte Roda Verheyen. Katzenbach sei offenbar kein Experte fürs Hochgebirge, es sei „absolut unfachmännisch“, Felsstürze und den Permafrost nicht zu beachten. Sie vermisst den Einfluss der fortschreitenden Erderhitzung auf das Risiko in Katzenbachs Berechnungen.
Lukas Arenson, einer der Autoren des BGC-Berichts, sagte, dass die bloße Existenz des Sees einen möglichen Felssturz belegen könnte, weil der See sich ja erst an Felsen aufstauen musste, ansonsten wäre er nicht entstanden.
Vergleich von Äpfeln mit Birnen?
Arenson sagte außerdem, dass Lliuyas Haus selbst den Berechnungen Katzenbachs zufolge gefährdeter sei, als Katzenbach es darstellt. Denn er modelliere nicht die Straßenzüge und Häuser in der Stadt, sodass das Wasser am Grundstück auch schneller und höher sein könnte.
Katzenbach kritisierte im Gericht wiederum, das BGC-Gutachten vergleiche Äpfel mit Birnen, weil es die Wahrscheinlichkeit für Felsstürze unter anderem aus Ereignissen in den Alpen ableitet. Jede Berechnung müsse „ortskonkret“ sein, „ich käme gar nicht auf die Idee, das zu übertragen.“
Die Expert*innen der Klägerseite bestehen darauf, dass das BGC-Gutachten dem neuesten Stand der Technik und Forschung entspreche, unter anderem weil sie Satellitenbilder ausgewertet haben, um die Möglichkeit eines Felssturzes zu beweisen.
Katzenbach wiederum behauptete für sein Gutachten den neuesten Stand der Technik. Außerdem berechne BGC nur die Wahrscheinlichkeit eines großen Felssturzes, nicht aber einer daraus folgenden Flutwelle. Das sei aber entscheidend, weil nicht jeder große Felssturz eine Flutwelle auslöse, die Lliuyas Haus erreicht.
Der Fall ist sehr kompliziert
Katzenbach kritisierte außerdem, dass BGC für die Berechnung „ungerechtfertigte“ Zahlen verwende: „Sie wussten offensichtlich nicht weiter und haben das getan, um ein passenderes Ergebnis zu erhalten.“ Die Berechnungen der Wahrscheinlichkeit würden so ad absurdum geführt.
Das sei falsch, widersprach Arenson. Katzenbach habe falsch nachgerechnet. Die Wahrscheinlichkeit von Naturgefahren berechne man so wie im BGC-Gutachten geschehen, weil die Zerstörungskraft von Überflutungen und anderen Gefahren derart groß ist.
Der Fall ist, da sind sich die Klägerseite, RWE und Katzenbach einig, sehr kompliziert. Richter Rolf Meyer runzelte mit fortschreitender Dauer des Prozesses immer verzweifelter die Stirn, beide Prozesstage wurden mehrmals verlängert. Er und seine zwei Kolleg*innen müssen entscheiden, welchem Gutachten sie glauben.
„Wir müssen überzeugt sein, dass es eine konkret drohende Gefahr gibt“, sagte Meyer. Dabei müssten sie sich innerhalb der Grenzen üblicher Rechtsprechung bewegen, „ansonsten kriegen wir den Fall vom Bundesgerichtshof zurück. Das wäre Unsinn, und dieses Gericht macht keinen Unsinn.“
Die Klägerseite müsse Meyer überzeugen, dass in den nächsten 30 Jahren eine Gefahr für Lliuyas Haus besteht, sagte er. „Das sehe ich aktuell noch nicht.“ Die Herangehensweise von BGC sei möglicherweise nicht anwendbar, weil sie nicht lokal genug ist, sondern aus der umgebenden Region abgeleitet wird.
„Dieser Fall zeigt, wie schwierig es ist, Wissenschaft und Recht zusammenzubringen“, sagte Francesca Mascha Klein, Rechtsreferentin bei Germanwatch. Die NGO unterstützt Lliuya.
Lliuya sagte nach dem Prozess am Mittwochabend, er sehe die Möglichkeit, mit dem Prozess Klimagerechtigkeit zu erzielen: „Und ich hoffe wirklich, dass weitere Klagen auch an anderen Orten die Möglichkeit haben, Gerechtigkeit zu erfahren.“
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