Klimabewusstsein und kein Handeln: Hedonistischer Suizid
Immer mehr Menschen kapieren, dass Klimaschutz nicht mit Wachstum einhergeht. Aber nur wenige sind bereit, die Konsequenzen einzufordern.
B ei einem jener Gespräche über Nachhaltigkeit zwischen Menschen aus Wirtschaft und Kultur fragte ich einen netten Herrn, der Firmen mit ökologischem Anspruch berät, ob wir zur Bewältigung der Probleme nicht das Dogma des Wirtschaftswachstums überwinden und neue Formen des Wirtschaftens entwickeln müssten. Seine Antwort lautete: Ja, und ja.
Ich war von seiner affirmativen Entschiedenheit so überrascht, dass ich nachfragte, was er denn meine. Er wiederholte, zum Mitschreiben: Ja, wir müssen uns vom Wirtschaftswachstum verabschieden, und ja, wir brauchen eine andere Wirtschaft. Nur hatte er in der Stunde davor mit keinem einzigen Wort auf diese Notwendigkeit hingewiesen.
Das Gespräch erscheint mir symptomatisch für die Schizophrenie unserer ökologischen Diskurse. Eine wachsende Zahl von Menschen hat verstanden, dass es so nicht weitergeht, aber ein erheblich geringerer Prozentsatz fordert die offensichtliche Konsequenz: grundlegende Transformation. Stattdessen durchwurschteln, auch und besonders in der Politik.
Da fordert eine Kanzlerkandidatin die leichte Erhöhung des Benzinpreises. Worauf sich aus den Reihen der „Volksparteien“ ein Sturm der Entrüstung erhebt. Die „Argumente“ lohnen einer näheren Betrachtung: „Solche Manöver führen womöglich dazu, dass sich die Bürgerinnen und Bürger vom gemeinsamen Engagement für unser Klima abwenden“, warnt SPD-Chefin Saskia Esken. „Das wäre ein Bärendienst für unsere Umwelt.“ Solche Sätze ergeben nur vor dem Nachdenken Sinn.
ist Schriftsteller, Weltensammler und Autor zahlreicher Bücher. Im August erschien sein neuer Roman „Doppelte Spur“ bei S. Fischer.
Schizophrener ökologischer Diskurs
Es geht nicht um „Engagement für das Klima“ – das klingt wie Schwimmbadgymnastik im Club Med –, sondern um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Davon sollte sich niemand „abwenden“ können. Genauso wie niemand sich hierzulande von Menschenrechten oder dem Schutz des Privateigentums je nach Unlust und Misslaune abwenden darf. Wer eine ökologische Maßnahme einführe, schade der Umwelt, weil es Menschen gebe, denen diese Maßnahme zu weit gehe.
Das ist die Logik der Apathie, weswegen Ihre Partei, Frau Esken – zieht man die aktuellen Umfragen heran –, nur mehr von den Depressiven gewählt wird. Der Bundestagspräsident wiederum appelliert, beim Klimaschutz die Situation der Menschen im Blick zu behalten (kleine Erklärung für Herrn Schäuble: Beim Umweltschutz geht es um die Situation der Menschen!): „Wir müssen auf diesem anstrengenden Weg allein in Deutschland schon 83 Millionen Bürger mitnehmen – und unsere Wirtschaft.“
Bei welchem anderen Thema fordert ein führender Politiker, alle 83 Millionen Deutschen „mitzunehmen“? Und die Wirtschaft ebenso (die ist wohl außerirdisch). Das bedeutet ins Ehrliche übersetzt: Das Profitinteresse der Wirtschaft muss befriedigt werden, bevor wir dubiose Experimente vornehmen, nur weil wir überleben wollen.
Ein Beispiel für solche krummen Prioritäten sind die internationalen Schiedsgerichte, vor denen Unternehmen auf Milliardenentschädigung klagen können, wenn Parlamente Klimaschutzgesetze verabschieden. Wir alle werden auch noch teuer dafür zahlen müssen, nur weil wir überleben wollen. In letzter Zeit wird bei diesem Thema bevorzugt die soziale Karte ausgespielt, von Politikerinnen, die seit Jahrzehnten Maßnahmen zum sozialen Ausgleich torpedieren.
Jene also, die mitverantwortlich sind für die wachsende Ungleichheit im Land, entdecken auf einmal ihre soziale Ader, just wenn es um unser aller existenzielle Interessen geht. Das ist infam, weil die notwendige gesamtgesellschaftliche Solidarität auf dem Altar perfider Demagogie geopfert wird. Natürlich müssen wir Mechanismen der Solidarität entwickeln, um alle notleidenden Menschen „mitzunehmen“, aber doch nicht nur bei Fragen des Umweltschutzes und nicht erst seit gestern.
Hoffen auf den Heiligen Geist
Schäuble, ein gläubiger Christ, verkündet zudem zuversichtlich, „dass wir auch klimaneutral Wachstum und Wohlstand schaffen können“. Nun, der Heilige Geist möge sich anstrengen; in dieser Welt, also in der Welt von Coltan, Glyphosat und Kohlendioxid, ist klimaneutrales Wachstum weniger wahrscheinlich als die zweite Wiederauferstehung. Wer solche Phantasmagorien verbreitet, verabreicht Schlaftabletten: Lehnt euch zurück, alles wird gut.
Letztlich zeigen solche Diskussionen, dass der Ökozid weiterhin als Kavaliersdelikt angesehen wird. Wer einem einzigen Menschen die Lebensgrundlage wegnimmt (etwa durch Diebstahl), wird streng bestraft. Wer die Lebensgrundlagen aller zerstört, wird ermahnt oder verwarnt, worauf sich gleich ein Sturm der Entrüstung aufbauscht, man solle doch nicht die Moralkeule schwingen. Die Forderung nach Umweltschutz ist keine Frage der Moral.
Sie hat NICHTS mit Moral zu tun, sondern alles mit Selbstschutz, Zukunftsplanung und Vernunft. Zu zerstören, wovon unser Leben abhängt, ist eine hedonistische Form des Suizids. Intelligenz und Moral sind zwei völlig verschiedene Konzepte. Intelligenz bedeutet, über den Schwemmbauch der eigenen Gier hinausblicken zu können. Moral ist die Frage, ob man mit einem Maulesel Sex haben sollte oder nicht. Ökologische Folgen sind dabei eher überschaubar.
Zum Thema „mitnehmen“. Die meisten Menschen laufen unreflektiert mit und akzeptieren – nur so ein Beispiel – den Fetisch des Privateigentums in unserem Rechtssystem. Sogar unter Jurastudentinnen ist das Einführungsseminar „Rechtsphilosophie“ wenig beliebt, die Grundlagen unseres Rechtssystems werden also selbst von den Fachkräften a priori akzeptiert. Deswegen erscheint der Status quo einleuchtend, jeder Veränderungsvorschlag hingegen als radikale Zumutung.
Das ist tragisch, denn manchmal repräsentieren die herrschenden Verhältnisse einen katastrophalen Irrweg, und die Vorschläge zur Transformation sind Ausdruck eines gesunden Menschenverstands.
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