Kevin Kühnert über sein neues Amt: „Ohne ein Arschloch zu werden“
Kevin Kühnert wird am Samstag zum SPD-Generalsekretär gewählt. Ein Gespräch über politische Macht und Stil, die „Bild“ und Mieten.
taz: Herr Generalsekretär Kühnert, wie klingt das?
Kevin Kühnert: Zu förmlich für die SPD. Es gibt das sozialdemokratische, egalitäre Du. Das soll hierarchische Hürden ein Stück weit überwinden helfen.
32, war bis Anfang 2021 Juso-Chef und ist seit 2019 Vizechef der SPD. Er ist seit Kurzem Bundestagsabgeordneter in Berlin.
Aber Sie müssen als SPD-Generalsekretär vorbehaltlos die Regierungspolitik verteidigen.
Nein, das ist nicht die Jobbeschreibung. Ich bewerbe mich als Generalsekretär der SPD, nicht als Regierungssprecher. Und ich will loyal mit allen Vertretern der SPD zusammenarbeiten. Vorauseilenden Gehorsam aber, den erwarten vermutlich noch nicht mal jene, die regieren.
Sie wollen also mehr Beinfreiheit.
Aha, jetzt gehen wir also alle Triggerworte durch. Es gibt eine klare Aufgabenbeschreibung in unserem Parteistatut. Der Generalsekretär führt die politischen Geschäfte der Partei im Einvernehmen mit den Parteivorsitzenden und unter Wahrung der Beschlüsse der Partei. Die Partei ist der Dreh- und Angelpunkt. Kabinette regieren auf Zeit. Die Partei bleibt. Die SPD ist unser common ground.
Das war nicht immer so, nach 1998 galt sehr oft: Erst die Minister, dann die Fraktion, dann nichts, dann die Partei. Ein Ergebnis war, dass 2017 die Schubladen im Willy-Brandt-Haus mit SPD-Forderungen für den Wahlkampf leer waren. Einverstanden?
Ja, da finde ich manche Wahrheiten wieder. Es gab lange eine zu enge personelle Verschränkung zwischen Regierung und Partei, etwa beginnend in den Rot-Grünen Regierungsjahren. Wir haben das in den letzten zwei Jahren geändert, die Ämter strikter getrennt und damit die Grundlage für das Comeback gelegt, mit dem wir viele überrascht haben. In der SPD haben das alle verinnerlicht. Deshalb hat Olaf Scholz sofort nach der Wahl gesagt: Ich will nicht Parteichef werden, sondern unterstütze die amtierenden Vorsitzenden.
Die Partei muss unabhängig von der Regierung agieren – das ist die Lernkurve der SPD?
Sie muss eigenständig sein. Das ist nicht zu verwechseln mit einer Opposition zu den eigenen Regierungsmitgliedern.
Gehört es nicht doch zum Job des Generalsekretärs einer Regierungspartei, die Partei zu disziplinieren?
Wenn ich nur durch Disziplinierung führen könnte, hätte ich mich nicht beworben. Ich werde sehr wohl den Regierungsmitgliedern und der Fraktion den Rücken freihalten, damit sie den geschlossenen Koalitionsvertrag verwirklichen können. Aber ein guter Generalsekretär gewährleistet das durch Kooperation, nicht durch Konfrontation.
Sie übernehmen das Amt von ihrem Freund Lars Klingbeil, der dann ihr Chef wird. Auch nicht einfach, oder?
Fragen Sie mich in drei Monaten nochmal. Aber ich denke nicht, dass diese Konstellation sich nachteilig auswirkt, eher im Gegenteil. Wir sind eine neue Generation von Führungskräften. Breitbeinigkeit und Machtdemonstrationen sind nicht unser Ding. Wir werden niemand demütigen, nur um zu zeigen, was für tolle Hechte wir vermeintlich sind.
Sie meinen Gerhard Schröder…
Das kann ich nicht beurteilen. Aber auch danach sind ja manche im negativen Sinne sehr, sehr selbstbewusst aufgetreten. Das brauchen wir nicht mehr. Lars Klingbeil und Saskia Esken werden als Vorsitzende die wichtigsten Köpfe der SPD sein. An ihrer Seite leitet der Generalsekretär die Geschäfte. Und Erfolg werden wir nur gemeinsam haben können.
Früher war Machtkampf – und jetzt nicht mehr? Im Ernst?
Die politische Kultur verändert sich ja schon seit einiger Zeit. Es wird in Gremien weniger gebrüllt. In den progressiven Parteien ist die Führung auch nicht mehr zu 90 Prozent männlich, mit Frauen als belächelter Salatgarnitur. Diese Entwicklung war überfällig.
Also sind Sie die Generation softer, zugewandter, woker.
Woke ist ein Kampfbegriff. Damit kann ich nichts anfangen. Politik ist fraglos ein Machtgeschäft. Das ist auch nichts per se Schlimmes. Aber man muss Machtpolitik betreiben können, ohne ein Arschloch zu werden. Das hat Lars Klingbeil am Anfang seiner Amtszeit gesagt. Und das stimmt immer noch.
Künftig wird sich sehr viel um die Regierung drehen. Die SPD repräsentieren zwei ChefInnen. Für kontroverse Haltungen fragt man die Jusos. Und Generalsekretär Kühnert ist medial gar nicht mehr so interessant. Wären Sie unglücklich, wenn es so kommt?
Damit könnte ich auch leben. Aber wenn ich mir die Medienanfragen rund um den Parteitag anschaue, dann hält sich meine Sorge, in Vergessenheit zu geraten, in Grenzen.
Werden Sie als Generalsekretär für Attacken auf die Konkurrenz zuständig sein?
Anders, als das früher üblich war. Die Zeit, als man mit der Kavallerie ausritt und billige Sprüche klopfte, ist vorbei. Dafür wird man heute eher ausgelacht. So redet doch keiner mehr. Naja, außer Markus Blume von der CSU.
Werden Sie als SPD-Generalsekretär mit „Bild“ reden?
Nein.
Warum?
Das ist eine prinzipielle Entscheidung, die nicht an ein Amt gekoppelt ist. Es wäre verlogen, das als Juso-Vorsitzender zu tun, weil man dafür Applaus bekommt, und es dann später zu lassen. Es geht bei dieser Entscheidung auch nicht um politische Meinungsverschiedenheiten. Ich rede gerne mit der „NZZ“ und der „Welt'“. Aber „Bild“ verfolgt eine eigene Agenda. Das hat nicht nur mit einem Chefredakteur zu tun. Es gibt strukturelle Gründe.
Und mit Bild-TV?
Auch nicht. Die Übergänge sind ja fließend.
Olaf Scholz hat sich in Bild-TV für die Impfpflicht ausgesprochen. Dann war er bei Springers „Ein Herz für Kinder“-Event. Muss ein designierter Kanzler das machen?
Nein, muss er natürlich nicht. Aber er wägt das auch nicht nur als Parteipolitiker ab, sondern als Mitglied der Bundesregierung. Olaf Scholz hat in dieser Woche eine Kommunikationsoffensive für das Impfen gestartet, er war bei Joko und Klaas, hat der „ Zeit“ ein Interview gegeben und war eben auch bei Bild-TV.
Weil er ihre moralischen Vorbehalte nicht teilt.
Ich leite aus meiner Entscheidung keine Allgemeingültigkeit ab. Ich finde nicht, dass Politikerinnen und Politiker, die mit „Bild“ sprechen, schlechte Menschen sind. Aber ich werde erst mit „Bild“ reden, wenn sich Grundlegendes in der Redaktion ändert. Das hat mit eigenen schmerzhaften Erfahrungen zu tun.
Viele Spitzen-Sozialdemokraten sagen: Wir haben im Koalitionsvertrag fast alles erreicht, also kein Genörgel. Sehen Sie das auch so?
Denken Sie sich an dieser Stelle eine längliche Passage, in der ich alles aufzähle, was wir durchgesetzt haben. Es ist wirklich viel. Aber es gibt darüber hinaus einiges, was wir Sozis noch wollen. Ein Rentensystem für alle Formen von Erwerbstätigkeit. Die Bürgerversicherung im Gesundheitsbereich. Eine adäquate Besteuerung von riesigen Vermögenswerten. Das ist ja keine Folklore für Wahlkämpfe. In Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP bekommt man nunmal nicht einen Mindestlohn von 12 Euro und eine Wohnraumoffensive und dann noch eine Vermögensteuer. Wir können rechtfertigen, warum wir unsere Schwerpunkte so und nicht anders gesetzt haben. Aber wir werden nicht so tun, als wäre damit schon alles geschafft.
Damit werden sie Olaf Scholz ganz schön auf die Nerven gehen.
Da schätzen Sie Olaf Scholz falsch ein. Es würde mich wundern, wenn Inhalte unseres Parteiprogramms Mitgliedern meiner Partei auf die Nerven gehen.
Sie saßen bei den Koalitionsverhandlungen für die SPD in der Gruppe Bauen und Wohnen. Auf dem Juso-Kongress haben Sie die Verhandlungen mit der FDP kafkaesk genannt. Was war da los?
Das bezog sich auf ein konkretes Themenfeld. Es ist kein Staatsgeheimnis, dass die Weltbilder im mietrechtlichen Bereich sehr weit auseinandergehen. Die FDP glaubt, dass mit der Entfesselung der Märkte, wie sie es nennen, und Planungsbeschleunigung das Wesentliche getan ist. Wir sehen das anders. Es war nicht ganz einfach, zueinander zu kommen, aber wir haben Kompromisse gefunden. Unsere FDP-Verhandlungspartner sind ja keine blöden Leute, die leben ja auch in der Wirklichkeit.
…und einer Eigentumswohnung?
Nein, das meine ich nicht.
Sondern?
Wir haben uns in den Verhandlungen dazu gezwungen, mehr Verständnis für die jeweiligen Perspektiven zu entwickeln. Der Ruf nach mehr Wohneigentum zum Beispiel ist doch total weit verbreitet, wenn wir über das beliebte selbstgenutzte Eigenheim auf dem Land sprechen. Aber in meinem Berliner Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg, wo 80% der Haushalte zur Miete leben, erleben viele die Forderung nach mehr Eigentum als reale Bedrohung. Sie haben Angst vor Entmietung und Eigenbedarfskündigungen. Die Wohnrealitäten unterscheiden sich extrem in Großstädten, Speckgürteln oder Dörfern.
In den Städten explodieren die Mieten. Die SPD wollte eigentlich ein Mietmoratorium, eine Art Mietenstopp. Davon ist wenig übrig geblieben: In angespannten Märkten sollen Mieten jetzt nur noch um elf Prozent in drei Jahren steigen dürfen statt 15 Prozent. Das ist nur Kosmetik.
Einspruch. Das ist mehr als Kosmetik. Wir kamen von 15 Prozent, ich hätte mir 6 oder 7 Prozent gewünscht. Jetzt sind wir bei 11 rausgekommen. Das ist ein knappes Drittel weniger Mietsteigerung als bislang möglich war. Das ist bares Geld für Hunderttausende. Aber: Es ist weniger als das, was nach Auffassung der SPD notwendig wäre. Denn die möglichen Mieterhöhungen werden nicht durch die durchschnittliche Lohnentwicklung ausgeglichen. Und deshalb kämpfen wir weiter.
Das Bundesverwaltungsgericht hat am 9. November faktisch das kommunale Vorkaufsrecht gekippt, eine wichtige Schutzmaßnahme gegen Spekulation. Laut Koalitionsvertrag soll nun geprüft werden, ob sich aus dem Urteil gesetzgeberischer Handlungsbedarf ergibt. Was heißt das?
Das Vorkaufsrecht und Abwendungsvereinbarungen sind effektive Instrumente von Kommunen, um soziale Durchmischung zu wahren. Deswegen sollten wir das heilen und rechtssicher machen. Ich hoffe auf schnelle Änderungen im Baugesetzbuch und darauf, dass wir das schnell in der Koalition vereinbaren können. Die Betroffenen verdienen Planungssicherheit.
Wird mit der FDP zu regieren noch schwieriger als mit der Union?
Jetzt muss ich ohne Ironie mal eine kleine Lanze für die FDP brechen. Sie sind in meiner Arbeitsgruppe nicht als Vertreter des Großkapitals aufgetreten. Die FDP kommt aus einer anderen Denkschule. Ihnen ist die Förderung von selbst genutztem Wohneigentum sehr wichtig. Der SPD in vielen Wohnlagen übrigens auch. Die Betonung liegt auf „selbst genutzt“. Profitmaximierung unter Inkaufnahme von Verdrängung ist etwa ganz anderes. Fazit: Beim Bauen und Wohnen wird nichts schlechter, wir verbessern Bausektor und Wohnungsmarkt aber an vielen Stellen. Mit der Union hingegen sind wir immer nur einen Schritt vor und dann wieder einen Schritt zurückgegangen.
Sie haben 2019 gesagt: „Ich finde nicht, dass es ein legitimes Geschäftsmodell ist, mit dem Wohnraum anderer Menschen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.“ Warum haben Sie sich 2021 gegen den Berliner Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co. Enteignen ausgesprochen?
Die Berliner SPD hat mit Franziska Giffey an der Spitze eine pointiert ablehnende Haltung dazu eingenommen. Ich wollte nicht, dass der Volksentscheid zum Anlass genommen wird, Rot-Rot-Grün zu verhindern.
Also reine Taktik?
Nein, das nicht. Ich fand den Volksentscheid auch handwerklich nicht gut gemacht. Die Festlegung, dass Unternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen haben, vergesellschaftet werden sollen, fand ich in der Systematik erklärungswürdig. Ich hätte mir qualitativere Kriterien gewünscht. Die Frage muss sein: Geht es dem Vermieter nur um Profitmaximierung oder nicht? Aber ich muss aus heutiger Sicht eingestehen, dass ich die Symbolkraft des Volksentscheides falsch eingeschätzt habe.
56 Prozent der wahlberechtigten Berliner:innen haben für Enteignung gestimmt. Das zeigt, dass viele wollen, dass sich fundamental etwas ändert. Es ändert sich aber fundamental nichts.
Doch. In Berlin wurde in den letzten zwei, drei Jahren ordentlich gebaut. Wir haben eine Wohnraumverknappung, die über viele Jahre aufgebaut ist. Das kann man nicht so schnell beseitigen.
Bauen ist doch nicht die einzige Lösung.
Die SPD hat auch keinen Beton-Fetisch, aber wir können rechnen. In einer Stadt, in der die Nachfrage so viel größer ist als das Angebot, kann und muss ich zwar viel regulieren, aber am Ende muss ich bauen. Sonst ändert sich nichts.
Werden Sie sich als Generalsekretär weiter um Wohnungspolitik kümmern?
Das Wohnen ist in meinem Wahlkreis das Thema schlechthin, und da habe ich einen klaren Handlungsauftrag. Ob meine Zeit reichen wird, das auch im Bauausschuss des Bundestages zu tun, das wird sich noch zeigen. Aber meine Leidenschaft ist ungebrochen.
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